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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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versteht die.«
    Gerda wartete, bis die Wehe vorüber war, blickte dann die Schwester an und sagte auf Italienisch, nicht ganz korrekt:
    »Io capiscio« , statt ›capisco‹ – ich verstehe schon.
    Da verzog die schwarzhaarige Krankenschwester ungläubig das Gesicht.
    »Kapiscio …!« , äffte sie Gerdas deutschen Akzent nach und brach in fröhliches Gelächter aus. »Kapiscio …« Ihre knöchernen Schultern zuckten vor Lachen, und sie konnte gar nicht mehr aufhören.
    Die Hebamme und Gerda schauten sie reglos an.
    »Kapiscio …« , sagte die Krankenschwester weiter, während sie den Raum verließ. Ihr Gelächter hallte durch den ganzen Flur, bis sie die Glastür dieser Abteilung hinter sich geschlossen hatte.
    Da wandte die Hebamme Gerda den Blick zu, hob eine Schulter an und schob die Unterlippe vor. Dann schloss sie die Augen mit überheblicher Miene wie eine Aufforderung, es ihr nachzutun.
    »Was soll’s? Ist eben ’ne Terrona «, tröstete sie Gerda in ihrem venetischen Dialekt.
    Terrona . Das war das Schimpfwort der Norditaliener für die aus dem Süden. Aber von den internen Differenzen der »Walschen«, wie sie sich unterschieden und wie wichtig es ihnen war, nicht miteinander verwechselt zu werden, von alldem wusste Gerda, die junge »Daitsche«, die mit Italienern kaum in Berührung gekommen war, überhaupt nichts. Aber sie nahm sich vor, sich dieses neue Wort zu merken. Terrona : eine dumme, ungezogene Person, die grundlos lacht.
    Unterdessen hatte die nächste Wehe sie gepackt.
    Die Schmerzen waren vollkommen. Eine Galaxie quälender Sterne von betörender Schönheit, die pulsierten, an ihr rissen und zerrten. In der Mitte blitzten sie dicht gedrängt, sodass es nicht auszuhalten war. Auf den spiralförmigen Armen, die davon abgingen, hingegen in größeren Abständen.
    Majestätisch und unerbittlich drehte sich die Galaxie um sich selbst. Nichts hätte sie stoppen können, weder Gerdas Schreie noch ihre Angst, geschweige denn ihre totale Erschöpfung. In den wenigen Pausen entspannten sich die Tentakel des Schmerzes, streckten sich aus und nahmen Gerda mit bis zu einem Punkt, an dem sie sich einen Augenblick lang einem reglosen Frieden überlassen konnte, einer grenzenlosen, vibrierenden Stille.
    Dann atmete Gerda.
    Aber bald zog sich der Tentakel des Schmerzes mit animalischer Lust wieder zusammen und riss sie brutal an sich. Und erneut stürzte Gerda hinab in den glühenden Kern der Wehen.
    Es kam ihr vor, als gehe das schon seit Jahrtausenden so, dabei waren erst wenige Stunden vergangen. Ihre breiten Hüften waren wie dazu gemacht, neuem Leben den Durchtritt zu erleichtern. Und schließlich geschah es, dass nach einer letzten grellen Schmerzexplosion zwischen ihren Beinen Eva zur Welt kam.
    Ihre Haut war hell. Ihre Oberlippe ähnelte einer Meeresfrucht und deutete an, dass sie einmal, wie ihre Mutter, einen vollen Mund haben würde. Der kahle Schädel sah wie eine Weltkarte aus, auf der die kreuz und quer verlaufenden purpurfarbenen Äderchen, die durch die Anstrengung der Geburt hervorgetreten waren, die Flüsse, Gebirgsketten und Kontinente eines neuen Planeten beschrieben. Die wenigen Haare dazwischen waren hellblond, fast weiß. Nicht rot, was Gerda sehr erleichterte: Dieses Baby, von dem sie noch gar nichts wusste, sah nur ihr ähnlich, niemandem sonst.
    Als die Hebamme ihr die Kleine gewaschen und im Strampelanzug des Hilfswerks in den Arm legte, waren Gerdas Brüste schon schmerzhaft angeschwollen. Grünliche Adern durchzogen die Haut, und die eingeschossene Milch hatte bereits ihr Nachthemd durchnässt. Wie einen Segen empfing sie den gierigen Mund des Babys, der ihre dunkle Brustwarze umschloss. Evas Kopf an ihrem Busen hob und senkte sich wie eine kraftvoll arbeitende Pumpe. Die Hebamme »Stern der Güte« sah ihr eine Weile zu und weissagte dann in ihrem rauen venetischen Dialekt:
    »Die Kleine wird dir nie Scherereien machen.«
    So, als fühle sie sich angesprochen, schlug Eva die Augen auf und schaute ihrer Mutter ins Gesicht, neugierig, als sei sie es, die die andere kennenlernen wolle, und nicht umgekehrt.
    Die Schwester Pförtnerin behielt recht: Auch Gerda hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht glauben wollen, dass es tatsächlich wahr würde, und begann erst jetzt richtig zu begreifen, dass sie eine Tochter hatte.
    Zum ersten Mal in ihrem Leben war da etwas, was nur ihr gehörte.
    Viele der jungen Mütter blieben sehr viel länger als die vorgesehenen drei Monate im Haus, denn

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