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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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BEGINNEN UND AN EINEM SAMSTAG
ENDEN ZU LASSEN. EINE STELLUNGNAHME DES PAPSTES WIRD
ERWARTET.
    Auch die Rückkehr Minas auf den Bildschirm wurde gemeldet. Über ein Jahr lang war die Sängerin vom Fernsehsender RAI boykottiert worden, nachdem sie ein Kind von ihrem verheirateten Geliebten zur Welt gebracht hatte. In der Meldung, die der Nachrichtensprecher verlas, hatte man es allerdings geschafft, die Worte »boykottiert«, »Geliebter« und »verheiratet« kein einziges Mal vorkommen zu lassen.
    Als es dann so weit war, drängten sich die ledigen Mütter in dem kleinen Fernsehzimmer. Die Sendung hieß La fiera dei sogni (Fest der Träume), und Mina sang È l’uomo per me (Der richtige Mann für mich). Sie hatte Nase, Augen und Mund wie eine ägyptische Königin, und so wie sie beim Singen die Arme und die Hüften schwang, musste allen klar werden, dass Mina das, was andere für unmoralisch hielten, keinen Augenblick bereute. Vielen der Mädchen vor dem Bildschirm stiegen fast Tränen in die Augen, weil sie ihnen neue Hoffnung schenkte, diese gleichzeitig freche und sanfte Stimme, die niemanden um Entschuldigung bat.
    »Vielleicht ist es eines Tages gar nicht mehr so schlimm, ein Kind zu haben und nicht verheiratet zu sein«, sagte leise zu Gerda eine etwa gleichaltrige Brünette, die nicht sehr auf Körperpflege hielt und deren Blick wie ausgehungert wirkte. Sie hatte noch nicht gelernt, ihr runzliges, dunkelhäutiges Baby richtig im Arm zu halten, das daher auch in einem fort weinte.
    »Das wird immer schlimm bleiben«, antwortete sie.
    Unterdessen sang Mina weiter, mit einem Gesicht, das noch heller strahlte als die Strasskette über ihrem Dekolleté.
    Die Schwester Pförtnerin hatte es bislang noch nicht gewagt, dem Hausgeistlichen die Sache mit der Pinzette zu beichten. Ein richtiger Diebstahl war es ja eigentlich nicht. Denn deren Besitzerin, ein Mädchen mit blond gefärbten Haaren und verdächtig feiner Unterwäsche, hatte gut einen Monat zuvor das Haus verlassen. Zurückgeblieben war ein Waisenkind mehr, für das mühsam eine Familie gefunden werden musste. Dass sie diese Pinzette aus verchromtem Stahl nun hinten in dem leeren Spind gefunden hatte, konnte sicher nicht als Sünde gelten, schon eher aber das Versäumnis, sie nicht unverzüglich der Mutter Oberin ausgehändigt zu haben. Tatsache war jedenfalls, dass seit dem Zeitpunkt, da es – dem Himmel sei Dank – mit diesen sinnlosen Menstruationsschmerzen vorbei war, die sie mehr als dreißig Jah re lang gequält hatten, auf der Oberlippe der Schwester Pförtnerin vereinzelt dunkle Haare, so hart und spitz wie Stacheldraht, sprossen. Die hatte sie immer, wenn sie sich unbeobachtet glaub te, verstohlen und mit einem entschlossenen Ruck von Daumen- und Zeigefingernagel ausgerissen. In dieser Situation kam ihr die Pinzette wie gerufen.
    Nun fürchtete die Schwester Pförtnerin allerdings den Moment, da sie den Mut finden würde, diese Sünde der Eitelkeit zu beichten. Das aber weniger wegen der Schande und der Zerknirschung, die sie erwarteten, sondern weil man ihr auferlegen würde, ein für alle Mal das Diebesgut an die Mutter Oberin zu übergeben. Und auf dieses saubere, akkurate Entfernen der Här chen, das so viel angenehmer und eleganter war als der wütende Ruck mit bloßen Fingern, würde sie fortan verzichten müssen.
    Als sie wieder einmal mit der Pinzette einem besonders wi derspenstigen Büschel Härchen zu Leibe rückte – zum letzten Mal, wie sie sich sagte, ohne allerdings tatsächlich daran zu glauben, denn seit Tagen schon hatte sie diesen Vorsatz, ohne ihn in die Tat umzusetzen –, ertönte in ihrem Reich, der Pförtnerloge, die Torglocke.
    In dieser Position dem Hilfswerk zu dienen war wahrscheinlich jene Aufgabe, die eine Nonne am wenigsten dazu verleiten konnte, ihr Keuschheitsgelübde zu bedauern. Das Aussehen der Mädchen, die bei ihnen im Haus für kurze Zeit Unterschlupf fanden, ihre Niedergeschlagenheit, ihr Entsetzen, ihre Angst hatten in der Tat wenig Beneidenswertes.
    Seit über zwanzig Jahren beobachtete die Schwester Pförtnerin nun schon diese jungen Frauen, die einsam und bedrückt in den Gemeinschaftsschlafsälen lagen und sich, wie an Rettungsanker, an ihre Säuglinge klammerten, nachdem ihr ganzes bisheriges Leben in Scherben gefallen war. Hin und wieder tauchten die Männer bei ihr am Tor auf, die die Mädchen nicht geheiratet hatten, und fragten nach den untergeschlüpften ledigen Müttern, junge Burschen in einem

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