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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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Buckel krummgeschuftet hatten, warteten darauf, nun zum zweiten und letzten Mal im Jahr gemäht zu werden. Etwas entfernt sah man die Männer vom Hof mit Sensen bei der Arbeit. Die Kühe waren noch nicht von der Alm zurückgekehrt, und in den Ställen standen nur die Muttertiere mit ihren neugeborenen Kälbern. Die Luft roch nach Heu und Rauch, nach Mist und frisch gebackenem Brot. Auf dem Türsturz waren etwas verwaschen die mit Kreide geschriebenen Buchstaben C, M und B und dazwischen die Zahlen 19 und 64 zu lesen. Auch hier hatten Kinder nach Neujahr als die drei Weisen aus dem Morgenland, Caspar, Melchior und Balthasar, verkleidet den Bewohnern für ein paar Münzen Glück und Gesundheit für das Jahr 1964 gewünscht. Gerda klopfte an. Ihr Onkel Hans, Hermanns älterer Bruder und Alleinerbe des Hofes, war einige Jahre zuvor gestorben. Ihr öffnete nun die junge Frau von Michl, dem ältesten der Cousins, mit denen Gerda als Kind die Sommer auf der Alm verbracht hatte.
    Gerda deutete auf Eva. Und erklärte ihre Not.
    Die junge Frau, kaum älter als Gerda, blickte sie aufmerksam an. Sowohl ihr Mann Michl als auch der Schwager Simon (der jetzt in der Schweiz lebte) hatten die Cousine nur selten erwähnt, aber wenn, dann mit einem Leuchten in den Augen, das sie, die Ehefrau, in Verlegenheit brachte. Außerdem war Gerda noch nicht einmal auf der Beerdigung der eigenen Mutter gewesen, und schließlich hatte sich herumgesprochen, dass sie schwanger war. Nein, auch ohne sie zu kennen, konnte die junge Ehefrau nicht behaupten, dass ihr diese Gerda sympathisch gewesen wäre.
    Während sie noch so dastanden, kam, schweißnass von der Arbeit, der jüngste Bruder ihres Mannes vom Feld zurück, jener Sebastian, Wastl gerufen, mit dem Gerda und die älteren Brüder damals im Heu wie mit einer Puppe gespielt hatten. Er war zu einem gut aussehenden vierzehnjährigen Jungen herangewachsen, groß und stark, mit einer geraden Nase, das dunkelblonde Haar zu einem Igel geschnitten, und fröhlich blickenden Augen. Mit einer herzlichen Umarmung begrüßte er die Cousine. Und als sie ihm erklärt hatte, worum es ging, sagte er zu ihr: »Du kannst sie hierlassen, die Letze .«
    Michls Frau bedachte ihn mit einem finsteren Blick.
    »Das sagt du so. Aber willst du etwa auf das Kind aufpassen?«
    Nun traf auch ihr Mann ein. Michls Augen erstrahlten, als er Gerda sah, seine Arme begannen sich zu öffnen, doch dann blickte er kurz, von plötzlicher Scham erfüllt, zu seiner Frau und hielt in der Bewegung inne. Schwer und voller Anspielungen hing die nicht erfolgte Umarmung in der Luft, während der argwöhnische Blick der jungen Ehefrau auf Michl ruhte. Wastl erklärte dem älteren Bruder Gerdas Lage, seine Schwägerin biss sich auf die Lippen, und dann begann die Auseinandersetzung. Gerda beobachtete ihre Münder, folgte aber bald schon nicht mehr ihren Worten – es schien ihr, als unterhielten sie sich in einer fremden Sprache. Sie hatte verstanden. Irgendwann erklärte Michls Frau, sie habe in der Küche zu tun, das Essen stehe auf dem Herd, und verschwand im Haus. Michl fragte Gerda, ob sie nicht hereinkommen wolle, doch sie lehnte ab. So warf er ihr nur noch einen schuldbewussten, traurigen Blick zu und folgte seiner Frau.
    Auch Wastl ging ins Haus, kam aber gleich darauf schon wieder zurück mit einem Glas Milch für die Kleine und ein wenig Brot, Speck und Käse für Gerda. Er blieb bei ihnen stehen, während Eva in kleinen Schlückchen die Milch trank, den Blick ihrer himmelblauen Augen auf die Hennen gerichtet, die zwischen Haus und Stall herumscharrten. Gerda bedankte sich und verstaute die Essenssachen in ihrer Tasche. Noch einmal umarmte Wastl die Cousine, die so schön war und so tief in der Patsche saß, streichelte der braven Kleinen kurz über die Wange und kehrte ins Haus zurück, wo das Abendessen auf ihn wartete.
    Obwohl der Weg zurück ins Städtchen bergab führte, brauchte Gerda länger als für den Hinweg. Ihre Beine waren schwer, und das nicht vor Erschöpfung. Die Sonne stand tief, bald würde sie hinter den Gipfeln der Berge untergehen, die das Tal umstanden. Als sie die Ortsmitte erreichte, waren die Geschäfte bereits geschlossen, die Straßen menschenleer. Es war die Tageszeit, da die Erde schon dunkel, der Himmel aber noch erhellt ist – wenn die Mütter ihre Kinder, die draußen gespielt haben, hereinrufen und das Essen auf dem Tisch steht und alle, die kein Zuhause haben, die Sehnsucht danach noch stärker

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