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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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der Rhythmus, der über Jahre ihr Leben bestimmen sollte: zehn Monate im Jahr bei der Familie Schwingshackl und außerhalb der Saison zwei Monate mit der Mutter in einem möblierten Zimmer.
    Währenddessen saß Gerda im Bus und weinte. Sie weinte auf der Fahrt durch das ganze Tal, dessen Hauptort ihr Städtchen war, sie weinte, als der Bus auf die Staatsstraße einbog, und weinte auch noch, als sie in Bozen eintrafen. Dort stieg sie weinend in einen anderen Bus um und lief später weinend vom Busbahnhof bis zu ihrem Hotel in Meran. Als sie den Schlafsaal betrat, den sie mit den anderen weiblichen Angestellten teilte, lief ein Radio. Schlagartig wurde Gerda sich einiger Dinge bewusst.
    Sie hatte kein Kind mehr, auf das sie den ganzen Tag aufpassen musste.
    Sie hatte keinen guten Ruf mehr, der zu schützen war.
    Sie war noch nicht mal zwanzig.
    Mit einem Male verspürte sie Lust, zu der Swingmusik die Hüften und Arme zu schwingen und so wie Mina jedem offen ins Gesicht zu schauen, der etwas daran auszusetzen hatte.

Km 715
    Vom Bahnhof Tiburtina zum Hauptbahnhof Termini in Rom, wo um Viertel nach sieben mein Zug nach Reggio Calabria abfahren soll, werde ich wohl die U-Bahn nehmen. Ich habe ja nicht viel Gepäck dabei, das dürfte kein Problem werden.
    Falsch gedacht. Es wäre kein Problem, wenn ich einen Fahr schein bekäme. Aber ich habe keine Euromünze dabei, und außer dem scheinen die Fahrscheinautomaten hier unten alle nicht zu funktionieren. Und um sich an einem Ostersonntag um sechs Uhr achtunddreißig irgendwo einen geöffneten Fahrkartenschalter zu erhoffen, muss man ein Kind, verrückt oder Deutsche sein. Nun mag ich selbst solche Wurzeln haben, doch die Provinz, aus der ich stamme, gehört schon viel zu lange zu Italien, als dass ich mich noch solchen Illusionen hingeben könnte.
    Ich verlasse also das Tiefgeschoss der U-Bahn, um oben nach einem Kiosk Ausschau zu halten. Der erste, den ich finde, ist sogar geöffnet, doch Fahrscheine hat er nicht mehr, der zweite ist geschlossen, weil es eben sechs Uhr (und mittlerweile) dreiundvierzig an einem Ostermorgen ist, und der dritte liegt mindestens einen Kilometer entfernt, wie ich von der Ukrainerin erfahre, die verschlafen hinter dem Tresen einer Bar bedient.
    Nicht aufregen, nehme ich mir eben ein Taxi. Als ich aus dem Bahnhofsgebäude trete, beginnt sich der römische Himmel gerade in unzähligen Farben zu tönen, und ich bleibe stehen, um ihn mir anzuschauen. Hauchdünne orange- und rosafarbene, zartgraue und pistaziengrüne Schlieren breiten sich auf einer Fläche aus, die türkis schimmert. Empfindliche, verträumte Farben, die man nicht erwarten würde über diesem brutal hässlichen Teil der Stadt mit der Hochbahn, die dicht an den Küchen- und Esszimmerfenstern im dritten Stock vorbeirattert. Und selbst über diesem abblätternden Grau in Grau ist die Pracht des Himmels über Rom so betörend, dass sie sogar mich, die ich an Sonnenuntergänge im Gebirge gewöhnt bin, berührt.
    Bei dem Pfosten mit dem Taxischild, dessen einziger Zweck darin zu bestehen scheint, falsche Hoffnungen zu wecken, warten rund ein Dutzend Schlafwagenpassagiere, ungekämmt und benommen, und schauen sich feindselig an. Denn trotz einer Nacht mit wenig Schlaf lässt sich die Wartezeit leicht ausrechnen: Bei einem Verhältnis von zwölf Fahrkunden auf kein Taxi wird sie jedenfalls nicht kurz sein.
    Willkommen in Rom.
    Als ich endlich am Hauptbahnhof Termini eintreffe, dürfte mein Zug nach Kalabrien schon Latina erreicht haben. Der nächste fährt erst kurz nach elf. Ich muss also fast vier Stunden warten.
    Es ist Tag geworden, der Bahnhof ist belebt wie an einem Werktag. Die allgegenwärtigen Flachbildschirme senden Werbespots, immer die gleichen, ein ums andere Mal. Eine Frau undefinierbaren Alters mit dünnen grauen Haarsträhnen, die wie am Kopf befestigte Rattenschwänze aussehen, tritt zu mir und fragt mit einem freundlichen Lächeln, wo sie einen Supermarkt findet. Das kann ich ihr nicht sagen und entschuldige mich dafür, worauf sie mir überschwänglich dankt, als hätte ich ihr gerade das Leben gerettet. Ich suche mir einen Geldautomaten, kaufe mir eine Zeitung, und da sehe ich sie wieder. Jetzt kniet sie vor einem Buggy und lässt vor den Augen des Kindes zwischen ihren Fingern eine Münze auftauchen und wieder verschwinden. Aber der Trick gelingt ihr nicht besonders gut. Der kleine Junge und seine junge Mutter, beide mit schwarzen, glatten Haaren und bolivianischen

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