Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
sondern Fremde, mit denen er allerdings nicht das Bett oder eine behagliche Stube teilte, sondern Waffen, Sprengstoff, Minen, Zündschnüre und Zünder, Fluchtpläne, gefälschte Papiere, Märsche über alte Schmugglerpfade, das Umgehen von Straßensperren.
Am 27. August 1964 gab die Musikkapelle eines Nachbardorfs ein ganz besonderes Konzert oben auf dem Berg, an dem Paul Staggl und die anderen Mitglieder des Konsortiums in atemberaubendem Tempo einen immer größeren, fantastischen Skijahrmarkt aufbauten. Die Veranstaltung sollte dazu beitragen, jene Stimmen verstummen zu lassen, die ihn mittlerweile »die Fabrik« nannten, den von den Stahlträgern der Seilbahnen, die echte Naturliebhaber niemals benutzt hätten, verschandelten Berg. Paul Staggl wollte seinen Landsleuten und den Sommergästen beweisen: Trotz der Sesselbahnen und Skilifts, Erfrischungsbuden und Stahlmasten (die sich bald schon über drei Hänge ziehen würden), der Restaurants mit dem bahnbrechenden, von den Militärkantinen übernommenen Selbstbedienungskonzept und des Viersternehotels auf mehr als zweitausend Metern Höhe – trotz alledem triumphiere dort oben auf dem Gipfel immer noch unangefochten die Natur. Und neben der Schönheit der »Heimat« mit dem 360-Grad-Blick von den Grenzgletschern bis zu den Dolomiten in der Ferne verblasste alles andere. Im Grunde kamen die Touristen aus der Stadt ja nicht nur, um Ski zu fahren, eine für das Wirtschaftswunderbürgertum mittlerweile unverzichtbare sportliche Aktivität, sondern auch, um sich an dieser majestätischen Pracht sattzusehen.
Und nichts konnte diese Tatsache eindringlicher unterstreichen als ein Konzert oben auf dem Gipfel, von Musikanten in den Trachten der Vorfahren. Im Programm auch die Welturaufführung einer Komposition des Direktors der Musikkapelle mit dem Titel »An meinen Berg«.
An jenem Tag brachte die von Gerda und Hannes eingeweihte Seilbahn ordentlich Geld ein: Touristen und Bewohner der Kleinstadt zog es in Scharen hinauf. Leni, in Begleitung ihrer Eltern, hatte auch die Kinder dabei, den Säugling Sigi, der, benommen von der dünnen Luft auf zweitausend Metern Höhe, durchschlief und auch nicht aufwachte, wenn der Kinderwagen rumpelnd gegen im hohen Gras versteckte Steine stieß. Und Ulli, der fest die Hand seiner Großmutter drückte, die Stirn gewölbt wie ein junges Reh, die Augen mit den langen, dunklen Wimpern zu jenem Ausdruck gespannter Erwartung aufgerissen, den er so oft in seinem kurzen Leben zeigen sollte.
Die letzten Klappstühle auf der Wiese wurden belegt, und Stille kehrte ein, nur ein-, zweimal unterbrochen vom Krächzen der schlauen Krähen. Der Dirigent hob seinen goldenen Stab, mit dem er auch den Marschtakt bei den Umzügen vorgab: und eins und zwei und … Ein Donnerschlag. Ein Knall, der unmöglich von Musikinstrumenten erzeugt worden sein konnte.
Auf der Provinzstraße unten am Fuße des Berges, einige Kilo meter weiter östlich und zweitausend Meter tiefer, war ein Jeep auf eine Mine gefahren und in die Luft geflogen. Niemand starb, aber vier Carabinieri wurden schwer verletzt.
In den ersten Septembertagen kam in einem Nebental ein Cara biniere durch Gewehrschüsse ums Leben, die durch das geschlossene Fenster der Kaserne, in der er stationiert war, abgefeuert wurden. Natürlich machte man sofort die Terroristen für die Tat verantwortlich, doch wie sich herausstellte, handelte es sich wohl um einen privaten Racheakt.
In der Nacht zwischen dem 6. und dem 7. September richtete in einer abgeschiedenen Almhütte ein V-Mann des Geheimdienstes im Schlaf Luis Amplatz hin, eines der zwei noch flüch tigen BAS -Mitglieder, die sich dem bewaffneten Kampf verschrie ben hatten. Seine Beerdigung schlug höhere Wellen und war besser besucht als ein Staatsbegräbnis: Selbst Südtiroler, die den bewaffneten Kampf ablehnten, sahen mehrheitlich in der Ermordung von Luis Amplatz eine Hinrichtung durch den italienischen Staat.
Einige Tage darauf flog nicht weit von der Kleinstadt, in der die Hubers und die Staggls lebten, wieder ein Militärjeep in die Luft, diesmal durch eine über Funk gezündete Bombe. Verletzt wurden sechs Carabinieri, davon vier schwer. Einer verlor ein Auge, ein anderer ein Bein.
Die Kühe unten im Stall schnuppern unruhig den beißenden Geruch, den die Kerze verströmt. Bald schon wird die Flamme auf das Heu übergreifen. Kaum vorstellbar, wie und durch wen der Stall dann noch zu retten wäre.
Einmal im Monat wurde Frau Mayers
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