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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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trocken wie altes Brot deutete die Hotelbesitzerin auf Gerda, die gerade an der Salattheke für eine Garnierung aus Radieschen Blütenknospen schnitzte.
    »Zwei Soldaten fragen nach Ihnen«, sagte sie im Tonfall schneidender Höflichkeit zu ihr.
    Gerda blickte zu ihrem Chef auf. Als Zeichen der Zustimmung ließ Herr Neumann das Kinn gegen seinen fetten Hals klatschen, und keine zwanzig Minuten später saß Gerda vor einem Schreibtisch in der Carabinierikaserne am Ende der Straße.
    Vor sich hatte sie zwei Soldaten. Einer hockte hinter dem Schreib tisch, sie vermutete, ein höherer Dienstgrad, auch wenn sie von Kragenspiegeln und Abzeichen keine Ahnung hatte. Der andere stand und schaute sie mit halb geöffnetem Mund an, als wisse er nicht genau, was er in ihr sehen sollte, eine Bürgerin, eine sehr schöne Frau oder eine Tatverdächtige.
    »Peter Huber ist Ihr Bruder?«
    »Ja.«
    »Was wissen Sie über seine Aktivitäten?
    »Welche Aktivitäten?«
    »Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
    »Bevor meine Mutter starb.«
    »Wann war das?«
    »Vor anderthalb Jahren.«
    »Haben Sie ein enges Verhältnis?«
    Sie flatterte mit den Lidern. »Er ist mein Bruder.«
    »Ihr Bruder steht unter dringendem Tatverdacht, Anschläge gegen Vertreter und Infrastruktur des italienischen Staates verübt zu haben.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    Der Offizier sog entrüstet die Luft durch die Zähne.
    »Ja, natürlich. Ihr hier oben wisst gar nicht, was das ist, der italienische Staat …«
    »Nein … ›Infra…‹«
    Der stehende Soldat wandte jetzt zum ersten Mal den Blick von Gerda ab und sagte, beflissener als gewünscht, zu seinem Vorgesetzten: »Infrastruktur. Das Wort ist es …«
    Ein gereizter Blick des anderen ließ ihn verstummen. Der Soldat senkte den Blick, hob ihn dann wieder zu Gerda und verfiel erneut in staunendes Schweigen.
    Der Tonfall, in dem sich der Offizier auf seinem Stuhl nun wieder an die Vorgeladene wandte, klang nach Gitterstäben, Handschellen, nach harten, aber gerechten Strafen.
    »Damit sind Brücken gemeint, Signorina, Straßen, Leitungsmasten … Vor allem aber das Leben von Soldaten, die während der Ausübung ihres Dienstes Opfer von Anschlägen werden.«
    Sie brauchten nicht lange, um zu erkennen, dass Gerda nichts von ihrem Bruder wusste. Dennoch behielten sie sie etwas länger da, als es notwendig gewesen wäre, einfach so, aus Gewohnheit, nicht um sie in die Enge zu treiben. Gerda machte es nichts aus, immerhin erhielt sie auf diese Weise unverhofft ein paar Stunden Pause. Aber sie war auch besorgt: Was trieb Peter da, was war aus ihm geworden, warum waren diese Soldaten hinter ihm her? Trau rig dachte sie an Leni, an ihren verlorenen Gesichtsausdruck, als sie sie zuletzt gesehen hatte, und an ihre beiden Kinder. Dann musste sie an Eva denken, und ihre Arme kamen ihr leer vor. Sie hatte ihre Tochter bei der vielköpfigen Familie Schwingshackl wie den obersten, kleinsten Stein eines Mandls abgesetzt, eines Steinmänn chens, das in den Bergen die Pfade markierte und das man nicht aus den Augen verlieren durfte, weil man sich sonst verirren würde zwischen Kiefern und Geröllhalden – oder im eigenen Leben.
    Der Carabiniere mit dem niedrigeren Dienstgrad brachte sie zum Kasernenausgang. Mit nur einem Schritt überwand er die Schwelle, die den Gehweg von dem faschistischen Klotz trennte, und fragte sie, befreit von der autoritären Aura dieser Architektur, ob er sie mal wiedersehen dürfe.
    Er könne sie ja noch mal festnehmen, antwortete Gerda, und der junge Carabiniere lachte dümmlich. Aber das war ihr egal. Sie musste ihn ja nicht heiraten und ihm keine Kinder schenken oder ewige Liebe schwören. Nichts anderes hatte sie mit ihm zu tun, als an seinem nächsten freien Abend mit ihm loszuziehen und die Hüften zu schwingen zu Minas samtweicher und doch energischer Stimme.
    Es roch nach Schimmel, Verwesung, Urin und abgestandenem Alkohol. Der Gestank überlagerte den Duft frisch gemähten Heus, der von den Wiesen zu den Häusern zog, tränkte die kühle, leicht bewegte Luft dieser Septembernacht, drang wie ein schleimiger, giftiger Tentakel in die Nasenflügel ein. Dieser Geruch erreichte auch die vier Carabinieri, die kurz vor Tagesanbruch an die Tür eines Hauses in Schanghai pochten. Die Menschen hier schienen einen leichten Schlaf zu haben, denn Maresciallo Scanu, der ranghöchste Carabiniere, hatte gerade die Hand gehoben, um ein zweites Mal gegen das abgeblätterte Holz zu schlagen, da

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