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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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bewegte sich schon die Tür in den Angeln. Die Luft, die den Männern aus dem Wohnungsinnern entgegenschlug, rief wie ein böser Fluch archaische Ängste bei ihnen wach.
    Auch der Appuntato – der Unteroffizier – und die beiden anderen stammten wie Maresciallo Scanu aus Süditalien. Alle vier waren sie jeweils fast einen halben Kopf kleiner als der Mann, der ihnen öffnete. Nur ihre Schirmmützen rückten ein wenig die Proportionen zurecht. Obwohl teils schon über ein Jahr, teils erst wenige Monate in Südtirol stationiert, war das Heimweh nach dem Süden bei allen gleich groß. Eines allerdings hielten sie diesen Südtirolern hier zugute: Es waren durchweg korrekte, saubere Leute, für die Ordnung einen hohen Wert hatte. Und so fragte man hier auch nicht »Tutto bene?« (alles gut), sondern »Alles in Ordnung?«, wenn man sich traf. Einen Saustall wie diesen hier hatten die Carabinieri in Südtirol zuvor noch nicht gesehen.
    Die Stube, in die sie blickten, war mit schmutzigen Kleidern, Holzscheiten und den Einzelteilen eines auseinandergebauten Motors übersät. Die Töpfe und Pfannen auf dem Herd waren mit Dreckkrusten überzogen, die mit den Essensresten und Abfällen zu einem einzigen stinkenden Mischmasch verschmolzen. Verschiedene Eimer mit Schmutzwasser standen, umgeben von Dut zenden leerer Flaschen, auf dem Fußboden herum. Bis vor andert halb Jahren war dieses Haus, obwohl feucht und dunkel, normal bewohnt gewesen, doch nun war es zu einer Müllhalde, einem Schrottlager verkommen. Der Mann, der die Tür geöffnet hatte, trug ein vergilbtes Unterhemd, eine alte Hose voller Schmutzkrusten und einen struppigen Bart.
    Sie verhörten ihn im Stehen, sagten, sie suchten seinen Sohn. Den habe er schon lange nicht mehr gesehen, erklärte er. Ob er wisse, wo er sich aufhalte? Nein? Wo er wohne? Er habe keine Ahnung, auch seine Schwiegertochter sei fortgezogen. Er glaube ihm kein Wort, brauste der Maresciallo auf und drohte ihm schlim me Konsequenzen an, wenn er weiterlüge. Der Mann schwieg.
    Die beiden einfachen Carabinieri machten sich daran, das Haus zu durchsuchen. Gewöhnlich, so wusste der Maresciallo, folgte der Hausherr den Polizisten und passte auf, dass nichts ramponiert wurde, stellte zurück, was sie in die Hand genommen hatten, beeilte sich, Schlösser und Riegel zu öffnen, um zu verhindern, dass sie aufgebrochen wurden, oder auch nur, um die Durchsuchung zu beschleunigen. Dieser Mann nicht. Reglos stand er in dem nur von einer Glühbirne erhellten Zimmer und sagte kein Wort, als gehe ihn das Hin und Her der Carabinieri gar nichts an. Er fragte auch nicht, weshalb sein Sohn gesucht wurde. Nicht, weil er den Grund bereits kannte, sondern weil in diesem alten Mann, der noch nicht einmal sechzig Jahre alt war, keine Fragen mehr waren.
    Maresciallo Scanu schaute Hermann Huber ins Gesicht und musste an einen Friedhof denken.
    Hausdurchsuchungen, Razzien, Erstürmungen von Privatwohnungen durch Polizeieinheiten werden nicht durchgeführt, wenn es bereits Tag geworden ist, wenn sich die Leute schon das Gesicht gewaschen und einen warmen Milchkaffee getrunken haben. Razzien geschehen auch nicht, wenn auf dem Herd eine Suppe kocht, glasig angeschwitzte Zwiebelscheiben ihren Duft verströmen und das Brot auf dem Küchenbrett darauf wartet, geschnitten zu werden; wenn die Bauern noch nicht vom Feld zurück sind und ihre Frauen auch nicht, wenn tief hängende, düstere Spätsommerwolken das frisch gemähte Heu bedrohen und alle Hände gebraucht werden, damit es beim ersten Donnern sicher auf dem Heuboden liegt – nein, auch dann geschieht es nicht und ebenfalls nicht, wenn es am Boden schon dunkel ist, der Himmel aber noch opalfarben schimmert und in der Stube die Säuglinge bereits auf den Armen der älteren Schwestern eingeschlafen sind, die Frauen Strümpfe stopfen und die Männer über den Erdrutsch reden, der nach dem letzten Gewitter die Straße verschüttet hat. Nein, der passende Moment für Razzien, Festnahmen, Hausdurch suchungen ist seit Menschengedenken die schwärzeste Stunde der Nacht, vor dem ersten Dämmern.
    Wenn die nachtaktiven Tiere mit einem noch halb lebenden Stück Fell oder Gefieder im Maul schon wieder in ihrem Bau verschwinden und die tagaktiven ihren Unterschlupf noch nicht verlassen haben; wenn die Menschen zwar nicht mehr rennen und fliegen mit ihren im Traum ewig gelenkigen Körpern, sich ihrer realen, sehr viel gebrechlicheren Hülle aber auch nicht richtig bewusst sind; wenn

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