Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
Hotel mit allen Zutaten beliefert, die für die süßen Nachspeisen gebraucht wurden: Mehl, Zucker, Pinienkerne, Rosinen, kandierte Früchte, bunte Zuckerstreusel, Silberkügelchen, Kakaopulver. Und zwar von einem jungen Burschen aus Trient, dessen Nachname auf »nin« endete wie der Kosename eines kleinen Jungen, den jedoch alle nur »Zuckerbub« nannten: der Junge, der die Zuckersachen brachte. Für den Grund dieses Beinamens gab es allerdings auch eine zweite Version, und die hatte mit der Tatsache zu tun, dass er den Damen – allen, ohne Ausnahme – Blicke zuwarf, die noch süßer als seine Zutaten waren. Selbst Frau Mayer blieb davon nicht unberührt und schaute, wenn sie aus der Küche von seinem Eintreffen erfuhr, kurz in den großen Spiegel an der Wand hinter der Bar.
Die Hotelbesitzerin kam Herrn Neumann in dessen Herrschaftsbereich nicht ins Gehege und überließ es ihm, das Ab laden von Warenlieferungen zu überwachen. Tauchte aber der Zuckerbub auf, fand sie immer einen Grund, sich auf dem Platz vor dem Hintereingang der Küche herumzutreiben, erbat sich eine Erläuterung zu einer bestimmten Rechnung, ließ dem Chef des Jungen – einem alten Schulkameraden von ihr – Grüße übermitteln oder gab dem Faktotum Anweisungen, wie irgendwelche Fässer zu stapeln seien. Alles war ihr recht, um sich, und sei es auch nur kurz, diesem Blick auszusetzen, der sich wie Samt an ihren weiblichen Körper schmiegte. Den Rest der Tage, an denen der Zuckerbub seine Waren geliefert hatte, brachte Frau Mayer in einem Zustand vager Erwartung und hoffnungsvoller Melancholie zu, in der blassen Erinnerung an etwas Verzehrendes, was sie jedoch nicht hätte benennen können.
So verschwommen und hauchzart Frau Mayers Gefühle waren, so zielstrebig und entschlossen ging der Zuckerbub vor, was Gerda betraf: An ihrem nächsten freien Abend würde er sie abholen, erklärte er, und sie zum Tanz ausführen.
Trotz all seiner Erfahrungen als honigsüß lächelnder Frauenliebling war es selbst für den Zuckerbuben neu, in Begleitung einer Frau ein Lokal zu betreten, bei deren Anblick sich allen die Pupillen weiteten: den Männern vor Verlangen, den Frauen aus Bestürzung über den Kontrast zur eigenen Erscheinung.
Auch für Gerda war es ein erstes Mal. Sie war noch nie ausgeführt worden, denn Hannes hatte sich in öffentlichen Lokalen nicht mit ihr zeigen wollen. Wenn sie sich trafen, waren sie allein geblieben, nicht nur an jenem Tag in der Seilbahn, sondern immer. Sie hatte neben Hannes in seinem Mercedes gesessen, während er den Wagen durch die Kehren irgendeiner Passstraße steuerte, und dann hatten sie angehalten und sich auf einer einsamen Wiese geliebt. Einmal war er mit ihr auch ins Cadore gefahren, in ein Hotel, ganz ähnlich dem, wo sie arbeitete, nur etwas kleiner. Verlegenheit gegenüber den Angestellten, die genau ihren eigenen Kollegen glichen, mit denen sie tagtäglich die Mühen der schweißtreibenden Arbeit teilte, blieb ihr erspart: Zwei Tage lang kamen sie nicht aus dem Zimmer und ließen sich Essen und Trinken auf einem Tablett vor der Tür abstellen.
Gerda hatte in dieser Abkapselung ihrer Liebe einen Beweis für deren Vollkommenheit gesehen. Dass Hannes andere Gründe haben könnte, dass er einfach nicht mit ihr zusammen gesehen werden wollte, wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Tatsache war jedenfalls, dass sich Gerda bis zu diesem Abend noch nie an der Seite eines Mannes in der Öffentlichkeit gezeigt hatte.
In dem Lokal stand eine Jukebox.
»Was hörst du gern?«, fragte der Zuckerbub Gerda.
»Mina.«
Er warf eine Münze ein und wählte eine 45er-Scheibe: È l’uomo per me – der richtige Mann für mich. Dann legte er ihr einen Arm um die Taille und drückte sie an sich. Gerda dachte an Minas ägyptische Augen und die unzähligen Anspielungen in ihrem Blick und musste lächeln: Auch sie, Gerda Huber, Tochter von Hermann und Johanna Huber, tanzte nun.
Die Nacht verbrachten sie zusammen in seinem Lieferwagen und liebten sich zwischen Zucker- und Mehlsäcken. Als sie ins Hotel zurückkehrte, hingen in ihren blonden Haaren Silberkügelchen, Schokoblättchen und bunte Zuckerstreusel, und dank der erfahrenen Hände des Zuckerbuben fühlte sie sich so cremig, fluffig und leicht wie ein Karnevalskuchen.
Einige Stunden später erschien Frau Mayer mit zusammengekniffenen Lippen in der Küche, und Herr Neumann befürchtete sofort, dass es im Speisesaal Reklamationen gegeben habe. Doch mit einer Geste so
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