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Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme

Titel: Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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Panzer- und Kettenfahrzeugen stundenlang bei einem Dörfchen im Tal herumstand, Terroristen ergreifen wollte, die sich auf alten Schmuggelpfaden oben in den Bergen im Grenzgebiet zwischen Österreich und Italien bewegten.
    Noch nicht einmal die Männer, die seinem Kommando unterstanden, hatte er sich aussuchen können. Ja, es kam ihm sogar so vor, als habe man sie eigens nach dem Kriterium »Unfähigkeit« ausgewählt: junge, unbedarfte Wehrpflichtige, die sich am Lauf einer Beretta höchstens die Finger verbrannten, kleine Jungs, denen man ohne irgendeine Anleitung eine MAB in die Hand gedrückt hatte … Da konnte man nur die Augen schließen und versuchen, nicht daran zu denken, was sie mit solchen Waffen anrichten könnten.
    Wer aber dem Oberstleutnant noch größere Sorgen bereitete, waren manche seiner Unteroffiziere, die seltsame Reden schwangen und verdächtig gute Kenntnisse einer bestimmten historischen Epoche, des Faschismus nämlich, herauskehrten, wenn nicht gar Sehnsucht danach bekundeten. Einige Zeit zuvor hatte General De Lorenzo, der Oberkommandierende der Carabinieri, ihm, dem Tenente Colonnello, der damals noch in Rom stationiert war, einen schockierenden Befehl erteilt: Er solle die Bereitschaft seiner Männer erkunden, auch auf Zivilisten zu schießen, und eine Liste derjenigen anlegen, die sich dazu bereit erklärten. Der Oberstleutnant konnte diesen Befehl nicht verweigern, hatte aber, in der guten militärischen Tradition des passiven Widerstands gegen unverantwortliche Befehle, die Sache hinausgezögert und in Erwartung neuer Entwicklungen die Zeit verstreichen lassen. Bis man ihn dann nach Südtirol schickte, um dieses motorisierte Bataillon zu kommandieren; die Liste der Willigen , wie De Lorenzo sie genannt hatte, hatte man ihm gegenüber nicht mehr erwähnt. Doch während er nun diese Unteroffiziere beobachtete, die keinen Finger rührten, um ihren plündernden, saufenden und wild herumballernden Männern Einhalt zu gebieten, fragte er sich, ob diese perverse Selektion nicht bereits andere für ihn übernommen hatten.
    Wie war das zum Beispiel mit Maresciallo Scanu, einem zuverlässigen Unteroffizier, den er schätzte? Der Tenente Colonnello hatte den ausdrücklichen Befehl erhalten, ihn nicht an der Operation teilnehmen zu lassen. Als sei dessen menschliches Mitgefühl nicht erwünscht, das trotz des Offiziersjargons zwischen den Zeilen des Berichts mitschwang, den er zu den Wohnverhältnissen des Huber Hermann, Vater des mit Haftbefehl gesuchten Huber Peter, abgefasst hatte. Und der Oberstleutnant begann sich zu fragen, ob es da nicht Kräfte gab, die all diejenigen von operativen Maßnahmen fernzuhalten bestrebt waren, die mit ihrem Einfühlungsvermögen hätten Brücken schlagen können zwischen den in Südtirol stationierten Streitkräften und den Einheimischen. Leute hinter Schreibtischen in Bozen oder gar in Rom, die in dieser bereits brennenden Provinz noch ins Feuer bliesen, anstatt sich im Ton zu mäßigen und die Gewalt einzudämmen. Leute, die daran arbeiteten, dass die Situation außer Kontrolle geriet. Es war keine Gewissheit, sondern nur so ein Gefühl, das er niemandem hätte anvertrauen können. Denn wenn dies tatsächlich eine kalkulierte Strategie war, zu welchem Zweck wurde sie verfolgt? Wer profitierte davon, wenn die Gewalt eskalierte? Der Tenente Colonnello konnte es sich nicht erklären und ahnte nur, dass es viele, gar zu viele Hintergründe gab, in die er nicht eingeweiht war. Und ihm, der sich noch genau an den Kloß im Hals erinnerte, als er feierlich seinen Eid auf die Verfassung der Republik Italien abgelegt hatte, behagte dieser Gedanke nicht. Überhaupt nicht.
    In diesem Augenblick tauchte am Himmel, der durch das herbstliche Hochdruckwetter lapislazulifarben schimmerte, der Hubschrauber auf.
    Im Luftwirbel seiner Rotorblätter bogen sich die Tannenspitzen, das Gras duckte sich, und Uniformrevers flatterten. Dann war der Helikopter gelandet.
    Ein Oberst der Gebirgsjäger stieg aus. Er sprach schnell und abgehackt, und ohne den Oberstleutnant dabei anzuschauen, fragte er:
    »Wie viele Leute habt ihr festgenommen?«
    »Fünfzehn.«
    »Gut. Lass sie an die Wand stellen und erschießen.«
    Der Tenente Colonnello starrte den höherrangigen Offizier an. Der Hubschrauberlärm machte die Verständigung schwierig. Er musste sich verhört haben.
    »Wie bitte?«
    »Stell sie an die Wand!«, zischte der Oberst. »Alle.«
    Der Carabiniere rührte sich nicht und

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