Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
Schlachthof arbeiteten, wo sich Herr Neumann versorgte, hatten ihm jedoch auch die fantasievolleren Namen des Südens beigebracht: Da hieß es nicht nur Filet, Nuss, Schulter oder Rippe, sondern auch piccione (Täubchen), cappello del prete (Priesterhut), campanello (Glöckchen), pesce (Fisch), lacerto (Armmuskel), piscione (Pisser), lattughello (Salätchen), imperatore (Kaiser) oder manuzza (Händchen) …
Auf den Schnitt komme es an, erklärte ihr Herr Neumann. Kein punktgenaues Garen, keine Zugabe von Gewürzen, kein Füllsel, keine Marinade, kein Anschmoren oder Salzen könne ein schlecht geschnittenes Stück Fleisch retten. Die Pfanne, der Bräter oder die Kasserolle, worin man es gare, sei wie das Bett, in dem die Ehe zwischen Fleisch und Koch vollzogen werde. Doch das Haus, in dem das Paar dann mehr oder weniger glücklich zusammenwohne, sei das Küchenbrett, auf dem dieser ihm seine Form gebe. Unfachmännisch, hastig, nachlässig geschnitten, verhalte sich das Fleisch wie eine Ehefrau, die tagsüber schlecht behandelt werde: Sosehr sich der Ehemann dann auch nachts im Ehebett bemühe und sie liebkose, sie bleibe taub, träge und abweisend. Wisse man es aber richtig zu nehmen – Herr Neumann blickte Gerda an, ihre Lippen, ihre vollen Brüste, die sich prall unter ihrer blutbespritzten Schürze abzeichneten, die Rundungen ihres Hinterteils, das die Matratze eindrückte und fast, ja fast sein krankes Bein berührte –, sei das Fleisch wie eine glückliche Geliebte, löse sich, werde gefügig, zart, und die Säfte flössen.
Letzteres jedoch sagte Herr Neumann nicht, wagte es vielleicht noch nicht einmal zu denken.
Als der Chefkoch in seine Küche zurückkehrte, wurde Gerda zur Hilfsköchin für Fleischgerichte befördert, und wenn er zu einem seiner immer häufigeren Arztbesuche fortmusste, vertrat sie ihn. Hubert, der nie sehr gesprächig gewesen war, verstummte jetzt ganz. Gerda jedoch machte sich nicht viel daraus: Wie undurchdringlich das Schweigen zwischen Menschen werden konnte, hatte sie schon in der Kindheit erfahren.
So war es also Gerda, die die Wiener Schnitzel, mittlerweile ihre Spezialität, für die Ehrengäste zubereitete, die an einem Sonntag im Jahr 1965 an den Tischen in Frau Mayers Haus Platz nahmen.
Die türkisfarbenen Augen wie eine wahnsinnige Seherin weit auf gerissen, vor Stolz und Aufregung schwer atmend, war die Hotel besitzerin in die Küche gestürzt, um Herrn Neumann mitzuteilen, dass er anderentags für den Obmann der Südtiroler Volkspartei und dessen Gäste, hochrangige Vertreter der italienischen Regierung, zu kochen habe. Alles in allem, mit weiteren Politikern aus der näheren und ferneren Umgebung, Mitarbeitern, Sekretären und Aktentaschenträgern, würden mehr als fünfzig Personen zu beköstigen sein.
Frau Mayer hatte keinerlei Interesse an italienischer Politik, aber das nicht, weil deren Abläufe so undurchsichtig und für Nichteingeweihte kaum zu verstehen waren. Nein, für sie, wie für fast alle deutschsprachigen Südtiroler, war eben der einzige bemerkenswerte Politiker des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besaß, eine hagere Gestalt mit eingefallenem Gesicht und glattem Haar, die am Stock ging: Silvius Magnago. Während sich die übrigen Bewohner des italienischen Stiefels allmählich an ihre parlamentarischen Vertreter gewöhnt hatten wie an Verwandte, die man sich nun mal nicht aussuchen konnte, blieben Frau Mayer deren Gesichter völlig fremd. Und so waren ihr auch Magnagos Gäste unbekannt, weckten nicht einmal ihre Neugier. Erst als sich ein obskurer Protokollchef beflissen an sie wandte, erfuhr sie, wer in ihrem Speisesaal Platz nehmen würde, nämlich der italienische Ministerpräsident (vorübergehend auch Außenminister) persönlich, auf dem Weg zu einer Almhütte an der Grenze zu Österreich, um dort den Außenminister dieses Landes, Bruno Kreisky, zu treffen. Nun gut, das war schon etwas, doch außerordentlicher blieb für sie die Tatsache, ihren Obmann in ihrem eigenen Haus bedienen zu dürfen.
Herr Neumann sollte ein Menü mit typischen Südtiroler Köstlichkeiten zusammenstellen, um den Gästen aus der italienischen Hauptstadt einen Eindruck von der Tradition der heimischen Küche zu vermitteln. Das ließ sich der Chefkoch nicht zweimal sagen.
Als Vorspeise wählte er Speck und Räucherwürstchen, Kaminwurze genannt, dazu Schüttelbrot aus dem Vinschgau sowie Meerrettichsoße mit Äpfeln; Kräuterziegenkäse als Aufstrich zu Breatln ,
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