Evas Auge
genau an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Es war für sie eine Art Manie geworden, sich nichts zuschulden kommen zu lassen, kein Aufsehen zu erregen. Gleich nach Verlassen der Innenstadt lag links eine rund um die Uhr geöffnete Esso-Tankstelle.
»Da kannst du leicht anhalten, Mama, wenn wir uns ein Eis kaufen wollen.«
»Nein, Emma, jetzt hör auf damit!«
Ihre Stimme klang scharf. Eva bereute und fügte in sanfterem Tonfall hinzu:
»Vielleicht auf der Rückfahrt.«
Dann war alles still. Eva sah im Rückspiegel Emmas Gesicht, mit den runden Wangen und dem breiten Kinn, die sie vom Vater geerbt hatte. Es war ein ernstes Gesicht, das nichts von der Zukunft wußte, von allem, was sie vielleicht würde durchmachen müssen, wenn …
»Ich kann den Asphalt sehen«, sagte Emma plötzlich. Sie beugte sich vor und starrte den Autoboden an.
»Das weiß ich, das ist Rost. Wir kaufen uns ein neues Auto, ich habe das einfach noch nicht geschafft.«
»Aber das können wir uns doch leisten, oder? Können wir uns das leisten, Mama?«
Eva starrte in den Spiegel. Keine Autos hinter ihr.
»Ja«, sagte sie kurz.
Den Rest der Fahrt schwiegen sie.
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E vas Vater hatte die Tür bereits aufgeschlossen. Er hatte schon von weitem den alten Ascona gesehen, und deshalb schellten sie nur kurz und gingen ins Haus. Der Vater hatte Probleme mit den Beinen und konnte nur sehr langsam gehen. Eva legte die Arme um ihn und drückte ihn so kräftig an sich, wie sie das immer tat, er roch nach Players-Zigaretten und Rasierwasser. Emma mußte auf ihre Umarmung noch warten.
»Die Frauen in meinem Leben!« rief er glücklich. Und fügte hinzu: »Jetzt darfst du wirklich nicht noch mehr abnehmen, Eva. In dem Kleid siehst du aus wie eine schwarze Bohnenstange.«
»Was für ein nettes Kompliment«, sie lächelte. »Aber du bist schließlich auch nicht gerade fett. Also weißt du, von wem ich das habe.«
»Ja, ja. Gut, daß wenigstens eine hier Verstand genug hat, um sich etwas Gutes zu tun«, sagte ihr Vater und legte Emma den mageren Arm um die Taille. »Geh mal in mein Arbeitszimmer, da steht ein Geschenk für dich.«
Emma riß sich los und stürzte davon. Bald darauf war im ganzen Haus ihr glückliches Geschrei zu hören.
»Rosa!« rief sie und kam angetrampelt. Die Tasche paßt wirklich überhaupt nicht zu den roten Haaren, dachte Eva traurig, braun wäre besser gewesen. Sie versuchte, die düsteren Gedanken zu unterdrücken, die sich überall einschlichen.
Der Vater hatte im Laden ein Brathähnchen bestellt, und Eva half ihm bei den Vorbereitungen.
»Du kannst doch hier schlafen«, sagte er bittend, »dann trinken wir einen Schluck Rotwein. So wie in alten Zeiten. Ich vergesse ja bald, wie man sich in Gesellschaft benimmt, schließlich bist du mein einziger Besuch.«
»Läßt Jostein sich denn nie sehen?«
»Doch, doch, ein seltenes Mal. Ich kann ja auch kein böses Wort gegen Jostein sagen«, fügte ihr Vater rasch hinzu. »Er ruft auch an und schreibt mir Karten. Ich mag Jostein sehr, im Grunde war er ein erstklassiger Schwiegersohn. Das hat auch deine Mutter immer gesagt.«
Emma trank Ginger Ale und aß voller Andacht ihr Brathähnchen. Evas Vater brauchte ein wenig Hilfe beim Schneiden. Wenn er allein war, aß er vor allem Brei, aber das verriet er nicht. Eva schnitt ihm das Fleisch zurecht, entfernte die Knochen und schenkte Wein ein. Es war ein Canepa, anderen Wein vertrug sein Magen nicht, weshalb er von diesem zum Ausgleich viel trank. Ab und zu legte Eva von ihrer Portion auf Emmas Teller. Das hätte sie nicht tun dürfen, aber solange Emma etwas zu essen hatte, würde sie wohl kaum an den Mann im Fluß denken.
»Hast du denn im Moment jemanden, mit dem du ins Bett gehen kannst, Kind?« fragte ihr Vater plötzlich.
Eva riß die Augen auf.
»Nein, stell dir vor, hab ich nicht.«
»Nein, nein«, sagte er, »aber das findet sich sicher.«
»Man kann auch ohne leben«, sagte sie mürrisch.
»Das brauchst du mir nicht zu erzählen«, sagte er. »Ich bin seit vierzehn Jahren Witwer.«
»Erzähl mir nicht, daß es vierzehn Jahre her ist!« protestierte sie. »Ich kenne dich doch.«
Er schmunzelte und nippte am Wein.
»Aber das ist nicht gesund, weißt du.«
»Ich kann mir doch keinen von der Straße auflesen«, sagte sie und biß in ein knuspriges Hähnchenbein.
»Natürlich kannst du das. Lad’ ihn doch einfach zum Essen ein. Die meisten würden ja sagen, da bin ich mir sicher. Du bist doch eine hübsche Frau, Eva.
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