Evas Auge
Ein bißchen dünn, aber hübsch. Du hast Ähnlichkeit mit deiner Mutter.«
»Nein, mit dir.«
»Verkaufst du Bilder? Arbeitest du hart?«
»Die Antwort ist nein. Und ja.«
»Sag Bescheid, wenn du Geld brauchst.«
»Tu ich nicht. Ich meine, wir haben inzwischen gelernt, mit wenig zurechtzukommen.«
»Früher hatten wir nie Geld genug für das McDonald’s«, sagte Emma laut. »Jetzt können wir uns das leisten.«
Eva merkte, daß sie rot wurde. Und das war ärgerlich, ihr Vater kannte sie und war auch nicht dumm.
»Hast du Geheimnisse vor mir?«
»Ich bin fast vierzig, natürlich habe ich Geheimnisse vor dir.«
»Na gut, dann sage ich nichts mehr. Aber Gnade dir, wenn du etwas von mir brauchst und mir nicht Bescheid sagst. Dann werde ich sauer, damit du’s weißt.«
»Das weiß ich.« Sie lächelte.
Schweigend aßen sie zu Ende. Dann goß sie den Rest der Flasche ins Glas ihres Vaters und räumte den Tisch ab. Sie arbeitete langsam. Sie dachte, daß sie sich jetzt vielleicht zum letzten Mal im Haus ihres Vaters zu schaffen machte. Von nun an würde sie immer so denken.
»Leg dich doch ein bißchen aufs Sofa. Ich koche uns Kaffee.«
»Ich habe auch Likör«, sagte er mit brüchiger Stimme.
»Ja, ja, den finde ich sicher. Jetzt leg dich hin, ich spüle und lese Emma dann was vor. Und nachher trinken wir dann noch eine Flasche Wein.«
Ihr Vater erhob sich mit großer Mühe, und sie nahm seinen Arm. Emma wollte ihm etwas vorsingen, damit er schneller einschliefe, und ihm war das recht. Eva ging in die Küche, steckte einige Geldscheine in das Einmachglas in seinem Schrank und ließ Wasser ins Spülbecken laufen. Bald war Emmas Stimme im ganzen Haus zu hören. Sie sang: »Der schönste Platz ist immer an der Theke«, und Eva hing über dem Becken, Lach-und Kummertränen vermischten sich mit dem Schaum.
Später an diesem Abend deckte sie ihn zu und gab ihm zur Stütze ein paar Kissen. Sie löschten fast alle Lampen und saßen im Halbdunkel da. Emma schlief mit offener Tür, sie konnten sie leise schnarchen hören.
»Fehlt Mama dir?« fragte Eva und streichelte seine Hand.
»In jeder einzelnen Stunde des Tages.«
»Ich glaube, sie ist jetzt hier.«
»Natürlich ist sie das, auf irgendeine Weise. Aber ich weiß nicht genau, auf welche, ich kann das einfach nicht herausfinden.«
Er tastete auf dem Tisch nach seinen Zigaretten, und sie zündete eine für ihn an.
»Warum war sie unglücklich, was glaubst du?«
»Ich weiß nicht. Glaubst du an Gott?« erwiderte Eva.
»Sei nicht blöd!«
Wieder schwiegen sie, lange. Er trank langsam und gleichmäßig seinen Rotwein, und sie wußte, daß er auf dem Sofa einschlafen und mit Rückenschmerzen aufwachen würde, das war schon immer so.
»Wenn ich groß bin, will ich dich heiraten«, sagte sie müde. Sie schloß die Augen und wußte, daß auch sie einschlafen würde, auf dem Sofa, den Kopf über der Rückenlehne hängend. Sie mochte nicht dagegen ankämpfen. Solange sie hier im Wohnzimmer ihres Vaters saß, fühlte sie sich sicher. Wie damals, als sie klein war und er sie beschützen konnte. Das konnte er nicht mehr, aber es war doch ein gutes Gefühl.
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S ejer erwachte mit steifem Nacken. Wie immer war er nach dem Essen im Sessel eingeschlafen, und seine Füße waren klatschnaß, der Hund hatte sie besabbert. Sejer ging ins Badezimmer. Zog sich langsam aus, ohne dabei in den Spiegel zu blicken, bückte sich unter den Strahl der Dusche und schnitt jedesmal eine Grimasse, wenn er die Wandfliesen streifte. Sie waren aus Vinyl und sollten Marmor darstellen. Wenn er sich das überlegte, fiel ihm keine scheußlichere Verkleidung für eine Badezimmerwand ein. Im Laufe der Jahre waren sie gelb geworden. Elise hatte jahrelang herumgequengelt, hatte ihn angefleht, andere Fliesen anzubringen, sie fand diese hier einfach häßlich. Doch, sicher, hatte er gesagt, nur Geduld, nur Geduld. Im Frühling machen wir das, Elise. Und so waren die Jahre vergangen. Und später, als sie krank, abgemagert und haarlos wie ein Greis im Bett lag und er sich in seiner Verzweiflung an das verdammte Badezimmer machen wollte, schüttelte sie den Kopf. Jetzt sollte er lieber an ihrem Bett sitzen. »Für das Badezimmer hast du danach immer noch genug Zeit, Konrad«, hatte sie mit matter Stimme gesagt.
Schreckliche Trauer überwältigte ihn, und er mußte die Augen heftig zusammenkneifen, um sich nicht davon umwerfen zu lassen. Er hatte keine Zeit dafür, jetzt jedenfalls nicht. Als er
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