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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Maja. »Du bist dünner denn je.«
    »Ich hab’ kein Geld.«
    Das war ihr herausgerutscht, ehe sie sich das überlegt hatte.
    »Ach? Aber ich.«
    Weg war Maja, und Eva sah, wie sie sich am Kuchentresen gierig bediente. Es war Eva peinlich, zugeben zu müssen, daß sie sich kein Stück Kuchen leisten konnte, aber sie war nicht daran gewöhnt, Maja anzulügen. Die Wahrheit kam wirklich ganz von selber. Eva konnte es kaum glauben, daß Maja wirklich dort hinten stand und Kaffee einschenkte. Die fünfundzwanzig Jahre waren wie ausradiert, und als sie Maja aus der Entfernung sah, wirkte die noch immer wie ein junges Mädchen. Leute, die ein bißchen rundlich sind, haben eine glattere Haut, dachte Eva mißgünstig und zog ihren Mantel aus, ihr selber war Essen nicht besonders wichtig. Sie aß nur, wenn der Hunger zum physischen Unbehagen wurde und ihre Konzentration störte. Ansonsten lebte sie von Kaffee, Zigaretten und Rotwein.
    Maja kam zurück. Sie stellte das Tablett auf den Tisch und schob Eva einen Teller zu. Kopenhagener und Sahneschnittchen.
    »Das schaffe ich doch gar nicht alles«, jammerte Eva.
    »Du mußt dir eben Mühe geben«, sagte Maja energisch. »Das ist eine reine Frage des Trainings. Je mehr du ißt, um so mehr weitet sich dein Magen aus, und um so mehr Essen braucht er, um voll zu werden. Das läßt sich in zwei Tagen erreichen. Du bist keine zwanzig mehr, weißt du, und wenn wir auf die vierzig zugehen, sollten wir ein bißchen mehr auf unsere Knochen packen. Herrgott, wir sind bald vierzig.«
    Sie bohrte die Gabel in die Sahneschnitte, und die Sahne quoll an den Seiten heraus. Eva starrte sie an, merkte, wie Maja die Herrschaft an sich riß, so daß sie selber sich entspannen und ausruhen und einfach tun konnte, wie ihr geheißen. Wie früher. Gleichzeitig registrierte sie Majas Finger mit den vielen Goldringen, und die Armbänder, die an ihren Handgelenken klirrten. Sie schien wohlhabend zu sein.
    »Ich wohne seit anderthalb Jahren hier«, sagte Maja. »Verrückt, daß wir uns erst jetzt begegnet sind.«
    »Ich komme fast nie in die Stadt. Hab’ hier eigentlich nichts zu suchen. Ich wohne in Engelstad.«
    »Verheiratet?« fragte Maja vorsichtig.
    »Gewesen. Ich habe eine kleine Tochter, Emma. Sie ist übrigens gar nicht mehr so klein. Im Moment ist sie bei ihrem Vater.«
    »Alleinerziehende Mutter also.«
    Maja nannte die Dinge beim Namen. Eva wand sich innerlich. So, wie Maja das sagte, hörte es sich so erbärmlich an. Und daß die Zeiten schwer waren, war ihr wohl auch anzusehen. Sie kaufte ihre Kleider immer gebraucht, während Maja ziemlich elegant war. Lederjacke und Lederstiefel und Levi’s. Solche Kleider kosteten ein Vermögen.
    »Hast du keine Kinder?« fragte Eva und hielt eine Hand unter ihren krümelnden Kopenhagener.
    »Nein. Was soll ich damit?«
    »Sie sollen für dich sorgen, wenn du alt bist«, sagte Eva einfach, »und dein Trost und deine Freude sein, wenn du dich dem Ende näherst.«
    »Eva Marie, du hast dich wirklich nicht verändert. Schon tief im Greisinnentum. Nein, wirklich, kriegen die Leute deshalb Kinder?«
    Eva mußte lachen. Sie fühlte sich wieder jung, in die Zeit zurückversetzt, wo sie sich jeden Tag getroffen hatten, in jeder freien Stunde. Mit Ausnahme der Sommerferien, wenn sie zu ihrem Onkel aufs Land geschickt wurde. Diese Ferien waren unerträglich, überlegte sie, unerträglich ohne Maja.
    »Du wirst das noch bereuen. Warte nur ab.«
    »Ich bereue nie.«
    »Nein, das kann ich mir vorstellen. Ich bereue fast alles.«
    »Damit mußt du aufhören, Eva Marie. Das ist ungesund.«
    »Aber daß ich Emma bekommen habe, bereue ich nicht.«
    »Nein, unsere Kinder bereuen wir wohl nicht gerade. Warum bist du nicht mehr verheiratet?«
    »Er hat eine andere gefunden und ist ausgezogen.«
    Maja schüttelte den Kopf.
    »Und wie ich dich kenne, hast du ihm beim Packen geholfen?«
    »Ja, wirklich. Er ist so unpraktisch. Und es war besser, als die Hände in den Schoß zu legen und zuzusehen, wie die Möbel verschwanden.«
    »Ich wäre zu einer Freundin gegangen und hätte eine Flasche geköpft.«
    »Ich habe keine Freundinnen.«
    Schweigend aßen sie ihren Kuchen. Zwischendurch schüttelten sie immer wieder den Kopf, jede für sich, als könnten sie noch immer nicht fassen, daß das Schicksal sie wirklich wieder zusammengeführt hatte. Sie hatten sich so viel zu erzählen, daß sie nicht wußten, wo sie anfangen sollten. In Gedanken saß Eva noch immer auf der kalten

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