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Evas Auge

Evas Auge

Titel: Evas Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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sich um und ging zur Tür. Etwas stimmte nicht. Kein Wort wurde gesagt, es war plötzlich so still. Sie konnte Majas Füße sehen, sie lagen bewegungslos, seitwärts gerichtet, auf der goldenen Bettdecke. Und der Mann trödelte jetzt nicht mehr herum, er riß die Tür auf und schlüpfte aus der Wohnung.
    Eva rührte sich nicht.
    Warum sagte Maja nichts? Eva spürte, wie die Wut in ihr aufstieg. Und diese Wut richtete sich gegen Maja, die sie in diese zweifelhafte Wohnung gelockt und ihr versichert hatte, es bestehe keinerlei Gefahr. Aber sie hörte aus dem Bett keinen Laut. Endlich stand sie auf, öffnete die Tür und konnte jetzt alles sehen. Majas weißer Körper, diagonal über dem Bett. Sie lag ganz still da, mit einem Kissen auf dem Gesicht.
    Eva schrie nicht. Das war einer von Majas Streichen, ein ziemlich typischer sogar. Sie schreckte vor nichts zurück, um einmal richtig lachen zu können. Eva verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf.
    »Wenn du diesen Typen da noch einmal hier reinläßt, dann kann ich dich nur noch verachten«, sagte sie trocken.
    Draußen wurde ein Wagen angelassen, Eva fuhr herum, lief zum Fenster. Das ist ein Opel Manta, dachte sie, so einer, wie Jostein ihn damals hatte. Sie sah sogar einen Teil der Nummer, BL 74 …
    Die Reifen kreischten wütend auf. Er riß den Wagen herum und hätte fast ein Verkehrsschild am Straßenrand gerammt. Dann raste er in Richtung Kneipe davon. Eva blickte hinterher, dann drehte sie sich um und ging zum Bett zurück. Beugte sich darüber und hob vorsichtig eine Ecke des großen Kissens. Und dann schrie sie auf.
    Es war ein schrilles Geräusch, das von ganz unten aus der Kehle kam. Maja starrte aus weitoffenen Augen die Decke an, und ihre Finger spreizten sich auf der Bettdecke. Eva wich entsetzt zurück und stieß mit dem Rücken gegen den Nachttisch, die große Flamingolampe wackelte bedrohlich, automatisch griff Eva mit beiden Händen zu, um sie zu retten. Dann drehte sie sich um und rannte wieder ans Fenster, starrte in die leere Straße hinunter, die nun vollständig verödet war, kein Auto zu sehen, kein Mensch, nur aus der Ferne hörte sie leise Verkehrsgeräusche. Sie rannte wieder zum Bett, beugte sich darüber und packte Majas Schultern, schüttelte sie kräftig und sah, wie ihr Kinn nach unten klappte. Jetzt lag Maja mit offenem Mund da. Eva sah sich verzweifelt nach dem Telefon um, konnte es jedoch nicht entdecken; sie stürzte ins andere Zimmer, suchte auf dem Nachttisch, auf der Fensterbank, rannte wieder zurück, kam nicht auf die Idee, weitere Lampen einzuschalten, konnte noch immer kein Telefon sehen, sah in einem Regal nur ein glänzendrotes Sportwagenmodell. Das war das Telefon. Sie stürzte hin, packte die Karosserie und wollte Hilfe holen, konnte sich aber nicht an die Nummer des Notdienstes erinnern, die hatte gerade gewechselt, das wußte sie aus den Fernsehnachrichten, also brauchte sie das Telefonbuch. Aber das konnte sie nicht finden. Sie legte den Hörer wieder auf und ließ sich in einen Sessel fallen. Starrte ihren roten Morgenmantel an und stellte sich plötzlich vor, wie uniformierte Polizei und Fotografen mit Blitzlicht das Zimmer überschwemmten, und wie sie dabei im Sessel saß, nackt unter ihrem roten Morgenrock, wie irgendeine Nutte.
    WIE EINE NUTTE.
    Was sollte sie überhaupt sagen? Daß sie durch den Türspalt gelinst hatte? Warum habe ich nicht eingegriffen, überlegte sie erstaunt. Weil alles so schnell gegangen war. Sie hatte Angst gehabt, er könne sie entdecken, seinen Zorn gegen sie richten. War sicher gewesen, daß Maja mit dieser Situation allein umgehen könne. Maja, die immerhin Profi war. Eva sprang plötzlich auf und stürzte ins Nebenzimmer. Schnappte sich ihre Kleider und zog sich in aller Eile um. Die ganze Zeit horchte sie angespannt, was, wenn jetzt plötzlich die Türklingel ginge, und draußen stand ein weiterer Kunde? Bei diesem Gedanken stürzte sie durch die Wohnung und schloß die Tür ab. Ihre Finger gehorchten ihr nicht, und es fiel ihr schwer, ihre Knöpfe zu schließen. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie noch immer Majas weiße Füße. Niemand weiß, daß ich hier war, sagte Eva zu sich, niemand, außer Maja. Wenn jemand davon erfährt, Jostein, oder die Polizei, oder das Jugendamt, dann nehmen sie mir Emma weg. Ich gehe nach Hause und tue so, als sei das alles nie passiert. Es hat nichts mit mir oder mit meinem Leben zu tun, ich gehöre nicht hierher, in diese Wohnung voller Plüsch

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