Evas Auge
sie …«
Eva unterbrach sich.
»Was wollten Sie sagen?«
»Sie war wohl nicht hart genug.«
»Wir haben in der ganzen Wohnung Ihre Fingerabdrücke gefunden«, sagte Sejer. »Sogar«, fügte er langsam hinzu, »am Telefon. Wen haben Sie angerufen?«
»Meine Fingerabdrücke?«
Ihre Finger krümmten sich bei diesem Gedanken. Vielleicht hatten sie ihr Haus durchsucht, während sie zu Majas Ferienhaus unterwegs gewesen war, vielleicht hatten sie mit einem Dietrich das Schloß geöffnet und waren mit ihren kleinen Pinseln überall ans Werk gegangen.
»Wen haben Sie angerufen, Eva?«
»Niemanden! Aber ich wollte … ich wollte Jostein anrufen«, log sie. »Jostein?« »Meinen Exmann. Emmas Vater.« »Und warum haben Sie es nicht getan?« »Ich habe es mir einfach anders überlegt. Er hat mich verlassen, ich wollte ihn nicht anbetteln. Ich habe mich angezogen und bin gegangen. Ich sagte zu Maja, was sie da macht, kann gefährlich sein, aber sie lächelte nur. Maja hat nie auf irgendwen gehört.«
»Warum haben Sie mir das bei unserem ersten Gespräch nicht gesagt?«
»Das war mir peinlich. Ich hatte doch wirklich mit dem Gedanken gespielt, Nutte zu werden, und ich wollte nicht, daß irgendwer davon erfuhr.«
»Ich habe Prostituierten in meinem ganzen Leben noch nie Verachtung entgegengebracht«, sagte er einfach.
Er erhob sich vom Sofa und sah zufrieden aus. Sie mochte ihren Augen nicht trauen.
Auf der Treppe blieb er noch kurz stehen, betrachtete den Hof, das Auto und Emmas an die Mauer gelehntes Fahrrad. Dann ließ er seinen Blick weiterwandern, zu den anderen Häusern in der Straße, als wolle er sich eine Ansicht darüber bilden, in was für einer Nachbarschaft sie wohnte, was für ein Mensch sie war, da sie hier wohnte, in dieser Gegend, in diesem Haus.
»Hatten Sie den Eindruck, daß Maja viel Geld hatte?«
Diese Frage kam überraschend.
»Ja, sicher. Sie hatte doch nur teure Sachen. Und sie ist zum Essen ins Restaurant gegangen.«
»Wir fragen uns, ob sie vielleicht irgendwo eine ziemliche Summe versteckt hat«, sagte er. »Und ob irgendwer davon gewußt haben kann.«
Sein Blick traf sie wie ein Laserstrahl mitten zwischen den Augen, und sie zwinkerte erschrocken mehrere Male.
»Ihr Mann ist gestern mit dem Flugzeug aus Frankreich gekommen, wir hoffen, er kann uns einiges erzählen, wenn wir ihn verhören.«
»Was?«
Eva mußte sich gegen den Türrahmen stützen.
»Majas Mann«, wiederholte Sejer. »Sie sehen so erschrocken aus?«
»Ich wußte nicht, daß sie einen Mann hatte«, sagte Eva mit schwacher Stimme.
»Nicht? Hat sie Ihnen das nicht erzählt?«
Er runzelte die Stirn.
»Seltsam, nicht, daß sie das verschwiegen hat, wenn Sie doch alte Freundinnen waren?«
Wenn, dachte sie. Falls. Falls wir wirklich alte Freundinnen waren. Wenn ich die Wahrheit sage. Sie könnte noch bis in die Nacht weiterreden, er würde ihr natürlich kein Wort glauben.
»Haben Sie sonst noch etwas hinzuzufügen, Frau Magnus?«
Eva schüttelte den Kopf. Sie war außer sich vor Angst. Der Mann, der im Ferienhaus aufgetaucht war, konnte Majas Mann sein. Der nach seinem Erbe suchte. Vielleicht, vielleicht würde er eines Tages vor ihrer Tür stehen. Vielleicht nachts, wenn sie schlief. Maja hatte ihm vielleicht erzählt, daß sie sich begegnet waren. Wenn sie noch die Zeit dazu gehabt hatte. Sie konnte angerufen haben. Ferngespräch nach Frankreich. Sejer brachte die vier Stufen der schmiedeeisernen Treppe hinter sich und blieb auf dem Kiesweg stehen.
»So einen Knöchel dürfen Sie nicht in heißes Wasser legen. Lassen Sie sich einen Verband machen.«
Dann ging er.
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S ie mußte das Geld aus dem Haus schaffen. Endlich war der große Peugeot verschwunden, Eva schloß die Tür mit einem Knall und stürzte in den Keller. Ihr Fuß war fast schon wieder taub. Sie stemmte mit einem Messer den Deckel vom Eimer und ließ die Geldpakete auf den Zementboden fallen, dann setzte sie sich hin und riß die Folie ab. Das Geld war mit Gummibändern umwickelt. Ziemlich rasch stellte Eva fest, daß es gut sortiert war. Tausender für sich, Hunderter für sich, da fiel das Zählen leicht. Der Boden war eiskalt, ihr Hintern bald gefühllos. Sie zählte und zählte und rechnete im Kopf mit, legte beiseite und nahm einen neuen Stapel. Ihr Herz schlug immer schneller. Wo sollte sie soviel Geld verstecken? Ein Banksafe wäre zu riskant, sie hatte das Gefühl, daß die anderen sie jetzt nicht mehr aus den Augen lassen würden.
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