Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
darauf zu. »Haltet euch fest!«, rief er.
Ich klammerte mich verzweifelt an Arden. Das Pferd setzte zum Sprung an und in Sekundenschnelle waren wir im dichten Wald. Die kräftigen Zweige der Bäume peitschten gegen meine Arme und meinen Rücken. »Zieht den Kopf ein!«, brüllte Caleb.
Hinter uns waren die Lichter des Jeeps nicht mehr zu sehen. Der Wagen hatte auf der Straße angehalten. »Es ist noch ein Stück«, erklärte uns Caleb, während unsere Körper beim Ritt über den unebenen Boden durchgerüttelt wurden. Ich hatte keine Ahnung, was »es« sein sollte, aber ich hoffte, dass wir bald dort ankommen würden.
Das Pferd lief im Zickzack zwischen den Bäumen hindurch und blieb schließlich vor einem ungefähr zehn Meter breiten Fluss stehen. Caleb sprang vom Pferd, dann half er Arden und mir beim Absteigen. Er gab der Stute einen Klaps auf das Hinterteil und sie galoppierte davon. Einen Moment lang war der Wald still.
Ich warf einen Blick zurück. Die Scheinwerfer des Jeeps erleuchteten die diesige Nacht. Die Männer knallten die Wagentüren zu. »Hierher!«, schrie einer von ihnen.
»Warum sind sie hinter dir her?«, fragte ich.
Caleb zog uns hinter einen Felsblock am Ufer des Flusses, wo wir uns hinkauerten. »Sie sind nicht hinter mir her«, erwiderte er. Ich sah verwirrt zu ihm auf. »Sondern hinter dir.« Er zog ein Stück Papier aus seiner Hosentasche.
Arden riss es ihm aus den Händen. Von dem Poster starrte uns die Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Mädchens mit langem dunklen Haar und einem vollen herzförmigen Mund an. EVE, stand darunter. 1,70 M, BLAUE AUGEN UND BRAUNES HAAR, GEFANGENNEHMEN UND DEM KÖNIG LEBEND ÜBERGEBEN. WER SIE SIEHT, UMGE-HEND DEN STÜTZPUNKT NORDWEST BENACHRICHTIGEN. Arden hielt den Bogen in der Hand, bis ein gewaltiger Regentropfen auf meinen Namen platschte.
Caleb spähte um die Ecke des Felsens zu dem wartenden Jeep hinüber. »Das habe ich heute Morgen auf der Straße gefunden.«
Ich riss Arden das Poster aus der Hand, von dem mir mein eigenes Gesicht entgegenstarrte. Es war mein Abschlussfoto – das einzige Bild, das je an der Schule von mir gemacht worden war. Letzten Monat war eine Frau von der Regierung gekommen, hatte uns alle dreißig im Freien aufgestellt und eine nach der anderen fotografiert. Auf dem Foto stand ich vor dem See, das fensterlose Gebäude war nur schemenhaft im Hintergrund zu erkennen. »Aber warum sind sie hinter mir her? Arden ist doch auch geflohen.«
Caleb sah zu Boden, sein Gesicht wurde zur Hälfte von seinem Haar verdeckt. »Was?«, fragte Arden. »Was ist los?«
Er wischte sich den Regen von den Wangen. »Es gab Gerede aus der Stadt aus Sand – am Anfang hielten wir es nur für ein Gerücht.« Langsam begegnete sein Blick meinem. »Der König will einen Thronfolger.«
Arden schüttelte den Kopf. Sie starrte weiter auf das Foto. »Oh nein …«, murmelte sie.
»Was? Was ist los?«, fragte ich und spürte, wie Panik in mir aufstieg.
Sie spähte zur Straße zurück, wo mittlerweile mehrere Taschenlampenstrahlen zwischen den Bäumen aufblitzten. »Eve hat sich als eine der besten und intelligentesten Schülerinnen der Schule erwiesen. So schön, so klug, so gehorsam.« Aus Ardens Mund klangen die Worte von Schulleiterin Burns völlig anders. Sogar finster. »Das wäre der Lohn deiner Verdienstmedaille gewesen, Eve. Du wärst nicht in dieses Gebäude gesteckt worden. Du gehörst dem König.«
Mir drehte sich der Magen um. »Was meinst du mit … gehören?«
»Du solltest seine Kinder gebären, Eve.« Arden hätte fast losgelacht.
Die Bilder des Königs hingen in den Korridoren unserer Schule. Er war ziemlich alt und hatte graue Schläfen und trockene, schmale Lippen. Falten durchzogen seine Stirn. Mir fiel ein, dass Maxine erwähnt hatte, der König käme vielleicht zur Abschlussfeier vorbei. Plötzlich schien es im Bereich des Möglichen, dass er wirklich gekommen wäre … meinetwegen.
»Klar wärst du das gewesen. Du bist das ideale Exemplar. Die ganze Streberei und das Lob sämtlicher Lehrer …«, fuhr Arden fort, dabei presste sie die Finger gegen die Schläfen.
Ich zerknüllte das Poster in meiner Hand. Mein Atem ging stoßweise, ich bekam kaum Luft. Ich wollte nicht irgendjemandes Kinder gebären – vor allem nicht die des Königs. Doch scheinbar war die Entscheidung schon über meinen Kopf hinweg getroffen worden.
Caleb kroch an den Rand des Felsens und behielt die Gefolgsleute des Königs im Auge. Sie kämpften sich
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