Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
mehrspurige Straße hinunter, die Leitplanken aus Metall waren unter den Ranken kaum auszumachen. In der Ferne war eine halb zerfallene Brücke zu erkennen. »Du willst Geschlechtsverkehr mit mir haben«, stellte ich sachlich fest.
Der Junge lachte, ein lautes, heiseres Lachen, mit der Hand gab er dem Pferd einen Klaps auf den Hals. »Ich will Geschlechtsverkehr mit dir haben?«, wiederholte er, als hätte er es beim ersten Mal nicht richtig gehört.
»Du hast es erfasst«, wiederholte ich laut. »Und damit du Bescheid weißt, ich werde es nicht zulassen. Nicht mal, wenn …« Ich suchte nach der richtigen Metapher.
»… wenn ich der letzte Mann auf Erden wäre?« Er blickte auf die weite, menschenleere Landschaft und verzog das Gesicht zu einem verschmitzten Grinsen. Seine Augen hatten die blassgrüne Farbe von Trauben.
»Haargenau.« Ich nickte und war froh, dass er zumindest in der Lage war, anständiges Englisch zu sprechen und zu verstehen. Es war nicht einmal annähernd so schwierig, mich mit ihm zu verständigen, wie ich angenommen hatte.
»Dann ist ja gut«, antwortete der Junge. »Denn ich habe sowieso keine Lust auf Geschlechtsverkehr mit dir. Du bist nicht mein Typ.«
Da lachte auch ich, doch dann merkte ich, dass er das nicht im Scherz meinte. Er sah starr geradeaus, während er das Pferd auf eine moosüberzogene Nebenstraße lenkte und es um die Schlaglöcher dirigierte.
»Was soll das heißen: ›Ich bin nicht dein Typ‹?«, hakte ich nach. Die Epidemie hatte weit mehr Frauen als Männer getötet. Als eine der wenigen Frauen im Neuen Amerika, vor allem als gut ausgebildete, kultivierte Frau, hatte ich immer angenommen, jedermanns Typ zu sein.
Der Junge warf mir einen Blick zu und zuckte mit den Schultern. »Äh«, brummte er.
Äh? Ich war intelligent, ich arbeitete hart. Man hatte mir gesagt, dass ich schön war. Ich war Eve, das Mädchen, das die Abschiedsrede an der Schule halten sollte. Und ihm fiel nichts Besseres als Äh ein?
Seine Schultern bebten leicht. Ich betrachtete sein Gesicht und merkte zum ersten Mal während unseres Ritts, dass er mich aufzog. Er hatte es aus Spaß gesagt.
»Du hältst dich wohl für sehr witzig, was?«, fragte ich und drehte mich weg, damit er die plötzliche Röte auf meinen Wangen nicht bemerkte.
Er zog an den Zügeln und lenkte das Pferd an der Brücke vorbei der Sonne entgegen. Als sie unterging, nahm der Himmel eine bläulich violette Farbe an. Graue Wolken zogen auf, sie wurden von einem fernen Donnergrollen begleitet.
»Na ja, ich glaube, du bringst mich jetzt besser wieder dorthin zurück, wo du mich gefunden hast. Mein … großer, starker Freund wartet dort auf mich. Er ist wirklich Furcht einflößend und … mordgeil«, fügte ich hinzu und wiederholte den Ausdruck, den ich bei der Bande aufgeschnappt hatte.
Der Junge gluckste weiter vor sich hin. »Ich bringe dich zurück.«
»Ich wusste, dass du das tun würdest«, erwiderte ich und sah mich um. Ich war mir nicht ganz sicher, wo wir waren. Am WAL MA T waren wir noch nicht vorbeigekommen. Die Straße war nirgends zu sehen. Zwei gelb gestrichene Pfosten ragten zu unserer Linken aus dem Boden und markierten wahrscheinlich ein ehemaliges Footballfeld, das nun mit Maispflanzen bewachsen war.
»Gibt es eigentlich irgendwas, das du nicht weißt?«, fragte der Junge und über sein Gesicht huschte erneut ein Lächeln. Ich drehte mich weg und tat so, als sähe ich das Grübchen auf seiner rechten Wange nicht oder das Funkeln in seinen Augen, das aussah, als würde er von innen leuchten. Die Illusion von Nähe hatte Lehrerin Agnes das einmal genannt. War es das?
Für einige Zeit schwiegen wir beide, lauschten dem grollenden Himmel, bis wir schließlich in die Gegend kamen, wo ich Arden zuletzt gesehen hatte. Mir fiel eine ramponierte Schaukel aus einem Autoreifen auf, das Gummi war an mehreren Stellen brüchig. Eine streunende Katze mit Hängebauch schlich durch die Straße.
Der Junge suchte einen verwilderten Vorgarten ab und deutete auf eine winzige Figur, die sich hinter Blattwerk duckte. »Das ist vermutlich dein ›großer starker Freund‹?«
Arden kam langsam aus ihrem Versteck hervor. Ihre Hose war an den Knien nass und schlammverschmiert, als wäre sie über die Erde gekrochen.
Ich sprang vom Rücken des Pferdes und wartete darauf, dass sie mir Fragen stellen würde, doch sie war zu beschäftigt damit, den Jungen zu mustern, um meine Anwesenheit überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Für
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