Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
hart an.
»Habt ihr diesen Tunnel – gefunden?«, fragte ich, meine Stimme hallte in der leeren Höhle wider.
Caleb bog scharf nach rechts ab und führte uns einen weiteren Gang hinunter, er erahnte den Weg im Dunkeln. »Wir haben ihn gegraben.« Weit vor uns hörte ich die Geräusche einer größeren Gruppe. Entfernte Stimmen, das Klappern von Töpfen, schwaches Johlen.
»Ihr habt diese Gänge in den Berg gegraben?«, fragte ich. Arden hustete wieder, sie ließ die Füße jetzt nachschleifen.
Caleb erwiderte einige Zeit nichts. »Ja.« Während wir weiterliefen, konnte ich ihn atmen hören. »Nach der Epidemie brachte man mich in ein improvisiertes Waisenhaus in einer verlassenen Kirche. Kinder – Jungen und Mädchen – schliefen auf Kirchenbänken und in Schränken, manchmal kuschelten wir uns zu fünft aneinander, um warm zu werden. Ich erinnere mich nur an einen Erwachsenen – die Frau, die die Konservendosen für uns öffnete. Sie nannte uns die ›Überreste‹. Nach ein paar Monaten tauchten die Laster auf und brachten die Mädchen in die Schulen. Die Jungen kamen in Camps – Arbeitslager –, wo wir den ganzen Tag, jeden Tag, irgendetwas bauten.« Jedes seiner Worte war sorgfältig abgewogen. Er blickte auf den Boden vor uns.
»Wann bist du entkommen?«, fragte ich. Wir liefen durch den Tunnel auf ein Licht zu, das, je näher wir kamen, immer heller leuchtete.
»Vor fünf Jahren. Der Höhlenbau fing gerade an, als ich hier ankam«, antwortete Caleb. Ich wollte noch mehr wissen, wer das organisiert hatte und wie, aber ich wollte nicht weiter in ihn dringen.
Als wir um eine Ecke bogen, öffnete sich der Gang in einen großen runden Raum mit einer Feuerstelle in der Mitte. Die Höhle erinnerte mich an den Unterschlupf eines Tieres. Dicke graue Steine stützten die Lehmwände und vier weitere Tunnel zweigten von dem riesigen Raum ab. Bevor wir einen weiteren Schritt machen konnten, zischte ein Pfeil an meinem Gesicht vorbei und hätte um Haaresbreite mein Ohr gestreift.
»Pass auf, wo du rumläufst!« Ein muskulöser, sehniger Junge lachte. Er ging auf die Wand neben uns zu, in die zwei riesige Kreise eingemeißelt waren, die eine Zielscheibe darstellten. Als er den Pfeil mit einem kräftigen Ruck herauszog, musterte er mich durchdringend.
Um das Feuer saß eine Horde Jungs mit bloßen Oberkörpern. Bei Calebs Anblick stießen sie wilde Schreie aus.
»Wir haben uns schon gefragt, wo du steckst«, rief ein Junge mit einem dichten Helm aus schwarzem Haar. Als eine Art primitives Willkommen schlugen sie sich mit den Fäusten auf die Brust. Als sich die Jungen umdrehten, um mich anzustarren, stellte ich mich kerzengerade auf.
»Wenigstens war die Jagd erfolgreich«, zischte der mit dem Pfeil. Er musterte meine nackten Beine, das Shirt, das locker über meine Brüste fiel. Ich hätte gern mehr angehabt oder mich hinter irgendetwas versteckt. »Schaut, was wir hier haben, Jungs! Eine Dame …« Er machte einen Schritt auf mich zu, doch Caleb wehrte ihn mit ausgestreckter Hand ab.
»Es reicht, Charlie«, sagte er warnend.
Zwei andere, um die fünfzehn, schleppten aus einem Seitentunnel ein Wildschwein heran. Als sie ihre Beute auf den Boden legten, ergoss sich ein Schwall klumpigen Bluts aus dem Tier.
»Weiß Leif Bescheid?«, fragte einer. Er war groß und dünn, auf seiner Nase hing schief eine kaputte Brille.
»Wird er schon noch früh genug«, erwiderte Caleb.
Ein Junge kniete sich neben den Wildschweinkadaver und wetzte zwei Messerklingen gegeneinander. Bei dem penetranten Schleifgeräusch stellten sich mir die Haare auf den Armen auf. Seine Augen wanderten über Ardens Körper und als er genug gesehen hatte, machte er sich über das Wildschwein her und hackte auf seinen Nacken ein. Knochensplitter flogen ihm ins Gesicht. Es war barbarisch, wie sein Messer immer und immer wieder auf der Stelle landete, wo der Kopf des Tieres am Körper ansetzte. Ich zuckte bei jedem Hieb zusammen.
Erst als der Kopf abgetrennt war und über den Boden rollte, hielt der Junge inne. Das Wildschwein starrte mich an, über seinen Pupillen lag ein grauer Schleier. Ich wollte weglaufen, den Weg zurück, den wir gekommen waren, und erst stehen bleiben, wenn ich an der frischen Luft war. Doch als ich spürte, wie Arden kraftlos neben mir zusammensackte, wurde mir wieder bewusst, warum wir hier waren. Sobald es ihr besser ginge, würden wir gehen, weg aus dieser nasskalten Höhle, wo mich diese Jungen anstarrten, als
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