Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
ihr die Hand entgegen, doch sie rührte sich nicht. Stattdessen rollte sich ihr Körper vor Anstrengung in Embryohaltung zusammen. Ihr lautes Husten hallte im Raum wider. Ich kniete mich auf den Boden. Während sie sich schwankend vorbeugte und versuchte, ihre Lungen freizubekommen, legte ich ihr die Hand auf den Rücken. Als sie sich wegdrehte, sahen wir beide zu Boden.
Ihre Hände waren voller Blut.
ELF
»Sie war letzte Nacht völlig durchnässt«, erklärte ich Caleb, als wir schließlich den Wald erreichten, in dem sein Camp lag.
Ardens Hustenanfälle waren mit jedem Kilometer lauter geworden und ihre Schritte immer langsamer, bis sie schließlich nicht mehr weiterlaufen konnte. Caleb und ich hatten sie auf einen Karren gelegt, den wir unterwegs gefunden hatten – auf die Seite war RADIO FLYER gepinselt –, und hatten sie abwechselnd gezogen. In der einen Minute klapperten ihre Zähne und in der nächsten krümmte sie sich über die Seitenwand des Karrens und versuchte, den blutigen Schleim auszuhusten. Schließlich schlief sie ein, ihr Körper lehnte gegen die ergatterten Konservendosen. »Es kommt bestimmt vom Fluss und dem Regen.«
»Ich habe mal einen Jungen gekannt, der auch diese Krankheit hatte«, sagte Caleb.
Wir hievten sie aus dem Wagen und legten ihre Arme über unsere Schultern.
»Und was ist passiert?«, fragte ich. Caleb gab keine Antwort. »Caleb?«
»Vielleicht ist es ja was anderes«, erwiderte er. Doch selbst im blassen Licht des Nachthimmels wirkte sein Gesicht angespannt.
»Mir geht’s gut«, murmelte Arden und versuchte, sich aufzurichten. In ihren Mundwinkeln klebte angetrockneter Speichel.
Wir bahnten uns den Weg durch den dichten grauen Wald, die Blätter kitzelten mich im Vorübergehen im Nacken. Tiere raschelten im Gebüsch. In der Ferne heulte ein Rudel streunender Hunde, das hungrig auf die nächste Mahlzeit wartete. Schließlich öffnete sich der Wald auf eine Lichtung und es war der überwältigendste Ausblick meines Lebens. Vor uns lag ein riesiger See, auf dessen pechschwarzer Oberfläche sich Tausende von Sternen spiegelten.
»Lake Tahoe«, erklärte Caleb.
Ich sah zum Himmel und betrachtete die funkelnden weißen Sternengruppen. Einige waren so hell, dass sie fast blau wirkten. Andere verschwammen in der Ferne wie schimmernder Staub.
»Das ist wunderschön.« Doch diese Worte beschrieben nicht annähernd die Ehrfurcht, die mich in diesem Augenblick erfüllte. Vor der Kulisse des Himmels fühlte ich mich winzig klein. »Schau mal, Arden.« Ich stupste sie am Arm. Wie gern hätte ich meine Farben und Pinsel dabeigehabt, um wenigstens einen blassen Eindruck der Szenerie festzuhalten. Es gab nur uns, einen schwarzen Ring Land und diese strahlende Kuppel.
Doch Arden krümmte sich vor Schmerz.
»Wo ist das Camp?«, fragte ich, meine Ehrfurcht verwandelte sich in Angst. »Wir müssen sie jetzt unbedingt dorthin bringen, sie braucht Ruhe.«
»Du stehst direkt davor«, erklärte Caleb. Er ging auf den steilen, schlammigen Hang zu, der mit Unkraut überwuchert und mit abgebrochenen Zweigen bedeckt war.
Verwirrt beobachtete ich, wie Caleb an einem angefaulten Holzklotz im Boden zerrte und ein großes Brett von der Größe einer Tür zum Vorschein kam. Er zog es hoch. Dahinter führte ein schwarzes Loch tief in eine Seite des Berges. »Geht rein«, forderte er uns auf und bedeutete mir vorzugehen.
Mein Magen grummelte. Mein Kopf fühlte sich leer an. Als ich in die Schwärze hinabstarrte, kehrten alle Ängste zurück. Mit Caleb draußen in der Wildnis zu sein, war schon riskant genug. Mir war nicht in den Sinn gekommen, dass das Camp eine unterirdische Höhle sein könnte. Im Freien konnte ich jederzeit davonlaufen. Aber unten im Dunkeln …
Ich trat einen Schritt zurück. »Nein …«, murmelte ich leise. »Das kann ich nicht.«
»Eve.« Caleb hielt mir seine Hand entgegen. »Arden braucht Hilfe – und zwar jetzt. Komm rein. Wir tun euch nichts.«
Neben mir zitterte Arden. Sie hustete und öffnete die Augen gerade lange genug, um etwas zu murmeln, das wie »Hör zu« klang. Als ich sie in den schwach erleuchteten Tunnel führte, stützte sie sich auf mich. Meine Hände zitterten. Hinter mir schloss Caleb die Tür.
»Hier lang«, forderte er mich auf und legte sich Ardens anderen Arm über die Schulter, um mir beim Stützen zu helfen. Als wir uns im Dunkeln vorwärtsbewegten, scheuerte die kalte Lehmwand an meinen Armen. Der Boden unter meinen Füßen fühlte sich
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