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Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Titel: Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Carey
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in der Erde verankert hatte. »Jetzt kennt ihr Leif«, flüsterte Caleb.
    Ich drehte mich in dem Moment um, als Leif wütend nach dem Kopf des Wildschweins trat. Die anderen Jungen gingen wieder ihren Beschäftigungen nach. Der große schoss einen weiteren Pfeil ab, zwei dünnere rangen miteinander und ein paar andere arbeiteten fieberhaft daran, Fleischstücke auf angespitzte Stöcke zu spießen. Sofort fiel mir Herr der Fliegen ein und der Tag, als Lehrerin Florence die Szene vorgelesen hatte, in der Simon von einer Bande verrohter Jungen ermordet wird. Als Motivation hatte sie Gruppendynamik innerhalb einer Bande angeführt. »Wenn Männer plötzlich isoliert sind und sich gegenseitig in ihrer Gewalttätigkeit bestärken, sind sie am gefährlichsten«, hatte sie uns, mit dem aufgeschlagenen Buch auf ihrem Schoß auf der Tischkante sitzend, erklärt.
    Als ich an das Gejohle dachte, an die Augen, die meinen Körper schamlos gemustert hatten, und das Geflüster zwischen ihnen, wusste ich: Ein paar Dinge, die sie uns erzählt hatte, waren wahr. Sogar jetzt.

ZWÖLF
    »Noch mehr?«, fragte ich und hielt einen Löffel Bohnen an Ardens aufgesprungene Lippen. Sie murmelte etwas, das wie »Nein« klang, dann rollte sie sich wieder auf die Seite und strampelte die Decke von ihren fleckigen Beinen. Die Augen fielen ihr zu.
    So ging es schon die ganze Nacht. Von Zeit zu Zeit wachte sie auf, bat um Essen oder Wasser, dann sank sie wieder auf die durchgelegene Matratze zurück. Manchmal krümmte sie sich vor Schmerz und klagte über ein Stechen in der Wirbelsäule. Caleb hatte einen Bottich mit Wasser ins Zimmer gehievt und ich schaffte es, Arden gerade so lange wach zu halten, dass ich ihr den Schweiß von der Haut waschen und die Blätter mit einem zerbrochenen Kamm aus ihren Haaren entfernen konnte.
    Unsere Erdhöhle zweigte von einem der Haupttunnel ab, es war ein enger Raum, darin gab es lediglich eine Matratze sowie einen Tisch, auf dem vergilbte Kinderbücher lagen. Gegen alle Logik hatte ich in der Hoffnung, dort Medikamente zu finden, die Schubladen durchwühlt. Nie zuvor war mir ihr Wert so bewusst gewesen. In der Schule schien es einen endlosen Nachschub davon zu geben.
    Wir hatten es als selbstverständlich hingenommen, wie problemlos alles behandelt wurde – ein Husten, eine Infektion, Schnitte, die man sich an einer zerbrochenen Laterne zugezogen hatte. Eine Pille hier, eine Spritze da, um die Haut vor dem Nähen zu betäuben, süßer kaugummirosa Sirup, der einem die Kehle hinunterrann. Als Ruby, überwältigt von einem quälenden Schmerz in ihrer Seite, im Hof zusammengebrochen war, hatte man sie schnell aufs Krankenzimmer gebracht. Tage später kam sie wieder heraus, auf ihrem Bauch markierten schwarze Fäden, wo man ihr den Blinddarm herausoperiert hatte. »Was wäre in der Wildnis passiert?«, hatten wir uns laut gefragt, als wir die Narbe begutachteten. Maxine ging davon aus, dass sie ihn sich vermutlich mit einer rostigen Schere selbst herausgeschnitten hätte. »Nein«, hatte die Schulleiterin sie korrigiert. Sie hatte sich im Speisesaal hinter unseren Tisch gestellt, um sicherzustellen, dass wir alle unsere Vitamine einnahmen. »Sie wäre schlicht und ergreifend gestorben.«
    Ich strich Ardens dichtes schwarzes Haar zurück und fühlte ihre heiße Stirn. Ich erinnerte mich an das erste Mal, als ich sie gesehen hatte. In den Jahren nach der Epidemie trafen regelmäßig neue Schülerinnen ein, manche hatte man in den Wäldern gefunden, einige wurden von Erwachsenen abgegeben, die nicht länger für sie sorgen konnten. Sie war das hochgewachsene Mädchen im verwaschenen blauen Kleid, das drei Jahre nach meiner Ankunft in die Schule kam, eine Achtjährige, die eilig durch ein Seitentor hereingebracht wurde. Sie musste für einen Monat in Quarantäne, so wie wir alle nach unserer Ankunft. Pip und ich kauerten uns vor das winzige Glasfenster in der Tür und beobachteten, wie sie sich die Zähne putzte. Sie spuckte den weißen Schaum in den Mülleimer und wir fragten uns laut, ob sie irgendwie anders war. Es war ein Spiel unter den Schülerinnen. Jedes Mal, wenn wir den Gang hinunterliefen, blieben alle dort stehen und schauten, ob sich die verräterischen blauen Flecken unter der Haut bei ihr zeigten. Wir warteten darauf, dass sich das Weiße ihrer Augen in schleimiges Gelb verwandeln würde. Es passierte nicht.
    Arden wälzte sich stöhnend auf die andere Seite, es war ein tiefer kehliger Laut, der mir Angst

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