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Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war

Titel: Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Carey
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waren Regale angebracht, eine komplette Seite nahmen Wasserkanister von der Farbe des Himmels ein.
    Michael stürzte sich auf einen Pappkarton und zog weiße Papierpäckchen heraus, die er den anderen zuwarf. »Mmmmmm«, sagte er und schüttete das zuckrige rote Brausepulver in seinen Mund. »Fundip.«
    »Haut rein«, rief Caleb von der anderen Seite des Raums. Er war an den hölzernen Regalen hochgeklettert und nahm eine Kiste mit langen dünnen Fleischsticks herunter, die in gelbes Plastik eingeschweißt waren. Aaron stopfte eine Handvoll davon in seine Jeans.
    Die Schlemmerei dauerte über eine Stunde, jede Kiste, jedes Plastikpäckchen, jede Schachtel enthielt eine neue köstliche Überraschung. Leif verteilte Tüten mit »Tootsie Roll«, Kaubonbons mit Schokogeschmack, die am Gaumen kleben blieben. Michael öffnete Bierdosen – etwas, das ich nur aus den Romanen von Joyce kannte – und verteilte sie an die Jungen. Ich hörte die entfernte Stimme von Lehrerin Agnes, die mich tadelte. »Alkohol wurde erfunden, um den Widerstand der Frauen zu brechen«, hatte sie gesagt. Ich nahm trotzdem einen großen Schluck.
     
    »Er starrt dich die ganze Zeit an«, meinte Arden, die an einer Wand lehnte. Wir hatten uns in einer Ecke niedergelassen, um so viel in uns hineinzustopfen, wie wir konnten.
    Vor uns türmten sich Dosen mit Orangenlimo, dicke, glänzende Salzbrezeln und eingemachte Pfirsiche. »Ich habe Lehrerin Agnes nie ein Wort geglaubt«, fing sie an und legte den Kopf schief. »Aber vielleicht hatte die alte Schachtel ja recht. In seinen Augen funkelt wirklich so etwas wie Wahnsinn. Es sieht aus, als würde er dich am liebsten mit Haut und Haar verschlingen oder so.«
    Ich sah auf. Caleb stand auf der anderen Seite des Raums und sah zu mir.
    »Mensch, Arden«, sagte ich ausweichend. »Hör auf damit.« Aber ich dachte die ganze Zeit daran, wie seine Lippen meine Stirn berührt und meine Arme sich an seine Brust geschmiegt hatten.
    »Du kannst, so oft du willst, Mensch sagen, aber es ist die Wahrheit. Was hast du denn mit ihm in diesem Zimmer angestellt – ich war doch bloß eine Sekunde weg!« Sie versetzte mir einen kräftigen Rippenstoß und ich lachte nervös.
    »Schaut mal, was ich gefunden habe!«, rief Charlie aus dem ehemaligen Esszimmer. Wie ein Zauberer lüftete er eine staubige beige Stoffplane, unter der ein altes Klavier zum Vorschein kam. Er legte die Finger auf die vergilbten Tasten und schlug ein paar blecherne Töne an.
    Ich lehnte mich zurück und lauschte, wie die Akkorde im ersten Stock des Hauses widerhallten. Es erinnerte mich an die Sommer in der Schule, als Pip und ich Klavierstunden bei Lehrerin Sheila genommen hatten. Ich saß auf der Bank und schlug die Akkorde für Amazing Grace an, während Pip hinter mir herumwirbelte und zu jedem Vers Pirouetten drehte.
    Ich wandte mich wieder zu Arden und wollte ihr erzählen, wie Pip manchmal für jedes Wort eine Pantomime aufgeführt hatte, bei »Schuft« hatte sie einen Buckel gemacht, bei »Geräusch« hatte sie die Hand ans Ohr gelegt. Doch Arden starrte auf die Regale vor uns und schien in Gedanken woanders zu sein.
    »Was hast du?«
    »Eve, da gibt es etwas, was ich dir sagen wollte …« Sie rieb sich mit der Hand über die Stirn. »Was ich da in der Schule erzählt habe – die ganzen Geschichten, dass mich meine Eltern mit ins Theater genommen haben, oder von Festessen zu Thanksgiving und von ihrer Wohnung in der Stadt …«, flüsterte sie. »Das habe ich alles erfunden.«
    Ich setzte mich aufrechter. »Wie meinst du das?«
    Sie starrte auf ihre Füße. Strähnen ihres schwarzen Haars fielen ihr ins Gesicht. »Auf eine Art hat es gestimmt – ich war nicht wie alle anderen in der Schule«, sagte sie. Ihre Lippen waren rot und rissig. »Ich war schon vor Ausbruch der Epidemie eine Waise. Ich hatte nie Eltern, nicht mal in meinem Leben vor der Schule.«
    Charlie schlug noch ein paar Töne auf dem Klavier an und Arden sah zu mir hoch und wartete auf meine Reaktion.
    »Die Mädchen, die dir morgens die Kleider zurechtgelegt haben, das Silbermedaillon, das dir deine Mutter nach abgeschlossener Berufsausbildung versprochen hat, das Haus mit dem Teich im Vorgarten und die Badewanne mit den goldenen Löwenfüßen?« Ich erinnerte mich an die Geschichten, mit denen uns Arden verspottet hatte. »Das waren alles Lügen?«
    Arden nickte. Ich war verwirrt, dann stieg Wut in mir auf. So viele Nächte hatte ich im Bett gelegen und geweint, mir

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