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Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt

Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt

Titel: Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Carey
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halten sollte.« Er nahm mir das Foto aus der Hand und legte es auf den Tisch. Als meine Hände nichts mehr zu tun hatten, fühlte ich mich plötzlich verlegen, sogar schutzlos. »Irgendwie muss es Ihnen dort doch gefallen haben.«
    »Solange ich dort war, ja«, sagte ich und wusste, dass ich ihm in diesem Moment nicht die Wahrheit sagen konnte. Wie die Lehrerinnen den Lehrstoff verzerrt hatten. Dass meine Freundinnen noch immer dort gefangen gehalten wurden. Ich ging zu seinem Schreibtisch und tat so, als würde ich mir einen Baseball ansehen, der auf einem Stapel Ringbücher lag. Auf jeder Oberfläche waren Karten ausgebreitet. An der Fensterscheibe klebten hingekritzelte Notizen.
    »Gefällt Ihnen mein Briefbeschwerer?«, er deutete mit der Hand auf den Ball. »Wenn man genau hinschaut, lassen sich noch die Grasflecken darauf erkennen. Er gehört zu den wenigen Dingen, die ich noch aus meiner Kindheit besitze.«
    Ich hielt den Ball einen Moment in der Hand und betrachtete die verblassten roten Nähte, die sich an einigen Stellen auflösten. »Wo sind Sie aufgewachsen?«
    Er streckte mir die Hände entgegen und bedeutete mir, ihm den Ball zuzuwerfen. »In einer Stadt in Nordkalifornien. Während der Umsiedlung gab es Regierungstransporte, Laster, die Woche für Woche hierherfuhren. Mit Zwischenstopps brauchte man fast zwei Tage. Zuvor benötigte jeder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung eines Arztes.«
    Ich warf den Ball in einem langsamen Bogen durch den Raum. Ich dachte an den Quarantäneflügel in der Schule und wie einsam jene ersten Wochen gewesen waren. Die Lehrerinnen sprachen nur durch eine Scheibe in der Tür mit uns. Ich war zwar noch klein gewesen, aber ich erinnerte mich noch daran, wie ich jeden Morgen meine Haut nach Anzeichen der Beulen abgesucht hatte, die charakteristisch für die Seuche waren.
    »Sie gaben uns diese Mundschutzmasken«, fuhr Charles fort. »Ich weiß noch, ich war fünfzehn und sah rings um mich diese maskierten Menschen, die meisten von ihnen fuhren allein in die Stadt. Es hatte etwas Surreales.« Er warf mir den Ball wieder zu.
    »Wie war die Stadt in jenen ersten Jahren?« Ich drehte den Ball um und rieb mit dem Daumen über die Grasflecken.
    »Deprimierend«, sagte er. »Noch völlig heruntergekommen. Menschen kamen aus allen Teilen des Landes hierher. Manche liefen tatsächlich wochenlang und setzten ihr Leben aufs Spiel, um es hierherzuschaffen. Es war nicht die glitzernde Stadt, die sie sich vorgestellt hatten. Zumindest damals nicht.«
    Er ging zu den Aktenschränken auf der anderen Seite des Zimmers. Ich folgte ihm, dankbar, dass er eine der breiten, flachen Schubladen öffnete und die ganzen Unterlagen darin zum Vorschein kamen. »Während der ganzen ersten Jahre hier sah ich nur die Möglichkeiten. Ich wusste, dass ich das tun wollte, was mein Vater tat, dass ich eines Tages mit ihm zusammenarbeiten wollte. Die Innenstadt veränderte sich, Gebäude für Gebäude. Man konnte spüren, wie sich die Traurigkeit verflüchtigte, als die Menschen einzogen, als die Stadt anfing, wieder wie die Welt von damals auszusehen. Natürlich ist die Stadt immer noch im Aufbauprozess. Wir hauchen ihr mit Restaurants und Unterhaltungseinrichtungen Leben ein. Aber ich denke auch noch über ein paar andere Sachen nach …«
    Jede Schublade war beschriftet. Auf einigen stand AUßENBEZIRKE, daneben die verschiedenen Himmelsrichtungen – Nordosten, Südosten, Nordwesten, Südwesten. Andere trugen die Namen ehemaliger Hotels: jeweils zwei Schubladen für das Venetian, Mirage, Cosmopolitan und das MGM Grand. »Als mit dem Bau begonnen wurde, verwandelte man alle Rasenflächen und alle Golfplätze in der Stadt in Nutzgärten. Ja, die brauchten wir«, sagte Charles und blätterte einen Papierstapel in der Schublade durch. »Doch die Öffentlichkeit darf dort nicht hin. Wir haben jetzt sauberes Wasser und Möglichkeiten, Pflanzen am Leben zu erhalten. Ich möchte einen Garten für jedermann schaffen.« Er breitete einen Papierbogen auf dem Tisch aus.
    Ich starrte auf die große Fläche Grün, die an einigen Stellen von verschlungenen Pfaden aufgebrochen wurde. Bäume waren bis ins kleinste Detail gezeichnet, ihre Äste breiteten sich über Teiche und Steingärten. Der riesige See in der Mitte war von drei Steingebäuden umgeben. Ich fuhr mit dem Finger die angedeuteten Bleistiftstriche nach. Die Zeichnung stand denen, die ich in der Schule angefertigt hatte, in nichts nach. »Haben Sie das

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