Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
entworfen?«
»Tun Sie nicht so überrascht.« Charles lachte. »Der Park wird etwa hundert Hektar groß sein, falls er je verwirklicht wird. Er wird der größte innerhalb der Stadtmauern sein.«
Jeder Baum und jede Blume war sorgfältig gezeichnet. Auf einem Teich trieben Boote. Am Ufer gab es in Rot und Gelb blühende Büsche. An einem der Gebäude war ein Schild mit der Aufschrift FREIZEITZENTRUM angebracht, auf einem anderen stand NATURKUNDEMUSEUM. Das dritte hatte einen Lichthof und Stühle. »Eine Bibliothek«, sagte ich und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Gibt es denn keine in der Stadt?«
»Wir haben bereits eine in der Nähe der Hauptstraße saniert, aber sie ist klein und immer überfüllt. Diese hier hätte vier Stockwerke und einen Ausblick aufs Wasser. Die ganzen geretteten Bücher müssten einfach nur geordnet werden. Drei Straßen weiter östlich gibt es ein volles Depot.« Charles deutete auf das Zimmer hinter sich. »Ich hab irgendwo das Modell – möchten Sie es gern sehen?«
Er starrte mich mit großen blauen Augen an. Mit dem kantigen Kiefer, den markanten Zügen und dem schwarzen Haarschopf sah er wie eine der Puppen aus, die bei Lilac auf ihrem Bett in Califia saßen. Mir war bewusst, dass er objektiv gesehen attraktiv war. Man konnte es an den Blicken erkennen, die Clara ihm zuwarf, oder daran, wie Frauen tuschelten, wenn er vorüberlief. Doch jedes Mal, wenn ich ihn sah, erinnerte er mich an meinen Vater und an die Stadtmauern, die uns einschlossen. »Ja, sehr gern«, sagte ich.
Sobald er in dem vollgestopften Zimmer verschwunden war, ging ich zu den Büroschränken und fuhr mit dem Finger über jede Schubladenbeschriftung. Die erste enthielt Pläne der ehemaligen Hotels. Die nächste Blaupausen eines Krankenhauses, eine weitere die zwei Schulen, die innerhalb der Stadt saniert worden waren. Es gab welche, auf denen PLANET HOLLYWOOD stand. Ich kniete mich hin und sah mir die untersten Schubladen an. Charles kramte in dem anderen Zimmer herum und suchte zwischen den aufeinandergestapelten Modellen, seine Schritte beschleunigten meinen Puls.
»Wo ist es?«, flüsterte ich und überflog die Beschriftungen. Drei der unteren Schubladen waren mit NOTFALLPLÄNE beschriftet. Ich zog die erste auf und sah den Inhalt durch, es gab Pläne, auf denen die Tore in den Mauern vermerkt waren, Bestandsverzeichnisse der Lagerhäuser in den Außenbezirken – über medizinischen Nachschub, abgefülltes Wasser, Dosenkonserven. Nirgendwo waren die Hochwasserkanäle eingezeichnet.
Charles’ Schritte verstummten einen Moment, dann waren sie wieder zu hören und wurden lauter, als er auf die Tür zuging. Ich zog die letzte Schublade auf. Ich hatte keine Zeit nachzudenken, sondern rollte kurzerhand den ganzen Papierstapel so fest ich konnte zusammen und stopfte ihn in meinen Stiefelschaft. Ich schob die Schublade zu und hatte mich gerade wieder aufgerichtet, als Charles ins Zimmer zurückkam.
»Das hier«, sagte er und stellte das Modell auf den Tisch, »sollte Ihnen eine umfassende Vorstellung geben.«
Ich wischte mir über die Stirn und hoffte, er würde die dünne Schweißschicht auf meiner Haut nicht bemerken. Die Miniaturausgabe des Parks nahm die halbe Tischfläche ein, die Gebäude waren aus dünnen Holztäfelchen gefertigt. Angetrocknete blaue Farbe stellte die reglosen Teiche dar. Den Boden bedeckte ein grüner moosähnlicher Flaum. Charles sah zu mir, dann zu dem Modell, als warte er auf irgendeine Form der Anerkennung.
»Das ist toll, wirklich toll«, sagte ich und versuchte, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. Die versteckten Pläne weckten den Wunsch in mir, schnell wieder allein zu sein.
»Es gibt noch mehr«, fügte er hinzu und deutete über die Schulter in das Nebenzimmer.
»Schon gut«, sagte ich schnell und trat einen Schritt zurück. »Ich sollte wirklich gehen.«
Charles’ Gesichtsausdruck veränderte sich, sein Lächeln war plötzlich verschwunden. Er wirkte niedergeschlagen. »Ja, dann ein anderes Mal«, sagte er und holte tief Luft. Er sah mich prüfend an und suchte verzweifelt nach mehr.
»Ein anderes Mal«, bot ich schließlich an und gab den Schuldgefühlen nach. Ich durfte nicht vergessen, dass er für meinen Vater arbeitete. Dass wir nur einige Stunden miteinander verbracht hatten – wenn überhaupt – und dass er möglicherweise seine eigenen Gründe hatte, meine Gesellschaft zu suchen. »Versprochen.«
Ich ging auf die Tür zu und ließ ihn
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