Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
dort stehen, eine Hälfte seines Gesichts wurde von der Sonne erhellt, die durch die Jalousien fiel. Auf dem Gang wartete ein Soldat auf mich. Er begleitete mich in den Aufzug und die oberen Stockwerke des Palastes.
Als ich allein in meiner Suite war, setzte ich mich auf den Boden und zog die Stiefel aus. Als ich die dünnen Blätter durchging, verschwand jegliches Schuldgefühl, dass ich Charles hintergangen hatte. Dort, nach nur wenigen Blättern, lagen Zeichnungen der Tunnel. LAS VEGAS ABWASSERSYSTEM war in schönen, makellosen Buchstaben darüber getippt.
FÜNFUNDZWANZIG
»Das hättest du nicht tun müssen«, sagte Caleb, als wir oben an der Moteltreppe ankamen. Er nahm meine Hand, zog mich an sich und schlang die Arme um meine Schultern. »Aber ich bin froh, dass du es getan hast.«
Aus einem Zimmer am Ende des Außengangs, der rings um das Motel führte, drang gedämpft Musik. Wir waren durch die Randbezirke zu Harpers Unterkunft gelaufen, weil wir Jo und Curtis suchten. Nun standen wir auf dem oberen Treppenabsatz eines heruntergekommenen Motels. Überall lagen Plastikchips herum. Der Hof war voller kaputter Stühle. Unten badete ein Mann seinen kleinen Sohn in dem halbleeren Whirlpool, er benutzte eine alte Saftpackung, um ihm die Seife aus den Haaren zu spülen.
Caleb führte mich den Gang hinunter. Wir hielten uns dicht an der Wand im Schutz der Überdachung. Aus einigen Zimmern schimmerte Licht durch die von Planen und fadenscheinigen Bettlaken verhängten Fenster. Wie im Hangar klopfte Caleb fünf Mal an die letzte Tür auf dem Flur. Harper war im Zimmer, sein herzliches Lachen hallte durch die Stille.
»Ihr zwei schon wieder«, sagte Harper grinsend, als er die Tür öffnete. Er trug einen langen blauen Bademantel, darunter schaute ein enges graues Unterhemd hervor. »Was macht ihr hier draußen?« Er ließ uns herein und schaute nach, ob uns auch niemand gesehen hatte. Der Raum war vollgestopft mit durchgelegenen Matratzen und Stapeln der Stadtzeitung. Curtis und Jo saßen auf schiefen Holzkisten und tranken aus einem Krug etwas Bernsteinfarbenes. Als er mich sah, stellte Curtis den Krug auf den Boden. Hinter den dicken Brillengläsern waren seine Augen nur winzige schwarze Pünktchen.
»Ich habe ein Geschenk für dich«, sagte ich und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ich kniete mich hin, zog am Reißverschluss meiner Stiefel und reichte ihm die Papierrolle.
Jo half Curtis, sie auf dem Boden auszubreiten. »Ist es das, was ich denke?«, fragte sie und blätterte die Blaupausen durch.
»Wo hast du sie gefunden?« Curtis zog eine Pause aus dem unteren Teil des Stapels und fuhr mit dem Finger über die Zeichnungen. Er warf Jo einen Seitenblick zu, sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. Er hielt sich die Hand vor den Mund, als wolle er es verbergen. »Das glaube ich nicht.«
»Ich glaube, eigentlich wolltest du ›Vielen Dank‹ sagen«, verbesserte ich ihn. Harper stieß ein leises Lachen aus und zwinkerte mir anerkennend zu.
»Genau hier ist er eingestürzt«, flüsterte Jo und deutete auf einen Punkt auf dem Plan. Sie fuhr mit dem Finger zur anderen Seite. »Wir müssen zu diesem Tunnel im Osten durchstoßen. Und die ganze Zeit dachten wir, wir sollten Richtung Norden weitergraben.«
Neben dem Kühlschrank köchelte auf einer Kochplatte etwas in einem Topf, der Dampf erfüllte die Luft mit einem starken, würzigen Duft. Harper hantierte in der improvisierten Küche herum, nahm einen anderen Krug, dessen Inhalt er für Caleb und mich in Gläser füllte. »Das hast du gut gemacht«, flüsterte er und reichte mir eines.
»Eve hat sie aus dem Büro von Charles Harris gestohlen«, fügte Caleb hinzu, als wäre damit alles klarer.
Selbst Jo lachte. »Der Charles Harris? Des Königs Minister für Stadtentwicklung?«
Ich nickte und nahm einen Schluck von dem Getränk. Es schmeckte ähnlich wie das Bier, das sie in Califia brauten. »Ich habe sie euch so schnell ich konnte gebracht.« Ich starrte Curtis an und wartete auf seine Reaktion – dass er sich bedanken, entschuldigen würde, irgendwas –, doch statt von den Plänen aufzusehen, studierte er die neue Route. Es dauerte eine ganze Weile, bevor er überhaupt aufblickte.
Wir beobachteten ihn alle. Er sah sich im Zimmer um und zuckte mit den Schultern. »Du bist die Tochter des Königs«, sagte er und rückte seine Brille zurecht. »Was erwartest du?«
Jo sah zu mir auf, ihre Augen waren mit dickem schwarzem Eyeliner
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