Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
zu lassen. Wir waren irgendwo drinnen, so viel konnte ich sagen, aber ich hatte keine Ahnung, wo. »Jetzt?«, fragte ich möglichst leise. »Noch nicht«, flüsterte er mir ins Ohr. Ich tappte durch die Dunkelheit.
Kurz darauf blieb er stehen und drehte mich nach rechts. Dann nahm er die Hände von meinen Augen. »In Ordnung«, flüsterte er und legte sein Kinn auf meine Schulter. »Jetzt darfst du dich umschauen.«
Ich öffnete die Augen. Wir waren in einem anderen Flugzeughangar, der wesentlich größer war als der, in dem sich der Tunneleinstieg verbarg. Die Flugzeuge standen aufgereiht nebeneinander, einige groß, andere kleiner, alle wurden von dem Mondlicht angestrahlt, das durch die Fenster des Hangars fiel. »Hier lebst du?«, fragte ich und sah zu dem Flugzeug über uns hoch.
Er zog eine Metalltreppe heran, die eingerosteten Räder quietschten und ächzten bei jeder Bewegung. »Harper hat es für mich gefunden – er glaubt, dass ich hier sicherer bin. Es ist auf der anderen Seite des Flughafens, auf dem wir gestern waren.« Er deutete auf die Treppe. »Nach dir.«
Ich stieg die Metalltreppe hoch und kam mir in Anbetracht des Flugzeugs wie ein Zwerg vor. Es war so viel größer, wenn man direkt danebenstand, auf den Tragflächen hätten zehn Menschen Platz gefunden.
Ich erinnerte mich an den Tag, als wir die Szene mit dem Flugzeugabsturz in Herr der Fliegen gelesen hatten. Lehrerin Agnes hatte uns von den Flugzeugen erzählt, die über Meere und Kontinente flogen, und dass Abstürze selten, aber tödlich waren. Wir wollten alles von ihr wissen – über die »Stewardessen«, die Wägelchen die Gänge hinunterschoben und Getränke und kleine Mahlzeiten servierten, und über die kleinen Bildschirme in den Rückenlehnen der Sitze.
An jenem Nachmittag hatten Pip und ich auf dem Rasen gelegen, in den Himmel gestarrt und uns gefragt, wie es wohl wäre, die Wolken zu berühren.
Caleb öffnete eine ovale Tür mit der Aufschrift NOTAUSGANG und zog sie mit beiden Händen heraus und nach oben. Die Sitze waren in Reihen angeordnet, eine nach der anderen, bis in den hinteren Teil des Flugzeugs. Die Plastiksonnenblenden waren heruntergezogen. Auf den ausklappbaren Tischen in den Rückenlehnen standen Laternen, die alles in ein warmes Licht tauchten, als Caleb sie entzündete.
»Ich habe noch nie das Innere eines Flugzeugs gesehen«, sagte ich und folgte Caleb an den ersten Sitzreihen vorbei. Diese Sitze waren breiter. Zwei waren zu Betten ausgezogen, auf denen muffige Decken lagen. Ein Rucksack voller Kleider und ein paar alte Zeitungen lagen auf einem Sitz daneben. Auf der obersten Zeitung war ein Bild von mir bei der Parade abgedruckt, PRINZESSIN GENEVIEVE GRÜßT BÜRGER stand darunter.
»Ist hier viel Platz!« Ich drehte mich mit ausgestreckten Armen und stieß trotzdem nirgendwo an.
Caleb drängte sich an mir vorbei in den vorderen Teil des Flugzeugs und drückte mir im Vorübergehen einen Kuss auf die Stirn. »Wo würdest du gern hinfliegen? Frankreich? Spanien?« Er nahm meine Hand und führte mich in die Kabine ganz vorn, die mit zahllosen Metallarmaturen und Tausenden kleinen Anzeigen ausgerüstet war.
»Italien«, antwortete ich und legte meine Hand auf seine, als er den Steuerknüppel beim Pilotensitz bewegte. »Venedig.«
»Aha … du willst also eine richtige Gondelfahrt.« Caleb lachte. Er legte einen Schalter über unseren Köpfen um, dann noch einen und tat so, als bereite er das Flugzeug zur Landung vor.
Ich nahm einen der Kopfhörer und stülpte ihn mir über die Ohren. Während ich mich in den zweiten Sitz schmiegte, betätigte ich einen Hebel auf der rechten Seite, dann noch einen. »Schnall dich an«, sagte Caleb. Er zog den Gurt um meine Taille fest, dabei legte er eine Hand auf meine Hüfte.
Er beugte sich vor, nahm den Steuerknüppel und tat, als würde er fliegen. Wir suchten durch die Frontscheibe den dunklen Hangar ab, als gäbe es keinen sensationelleren Ausblick. »Wir müssen zuerst in London zwischenlanden«, sagte er, seine Stimme hallte in dem kleinen Raum mit den vielen Armaturen wider. »Und uns Big Ben anschauen. Dann vielleicht Spanien – danach Venedig.«
Ich deutete auf den Boden unter uns. »Von hier oben ist alles so winzig.« Ich beugte mich zu ihm, um einen besseren Blick auf die imaginäre Welt unter uns zu haben. »Der Aussichtsturm vom Stratosphere ist nur ein paar Zentimeter hoch …«
»Schau«, sagte Caleb und deutete aus dem Seitenfenster. »Du kannst
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