Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
stützte mein Gesicht in die Hände. Ich konnte mich nicht mehr an den Pfad wenden. Keiner würde mir trauen. Ich lebte nun unter ständiger Überwachung. Caleb war fort, irgendwo jenseits der Stadtmauern, ohne die Aussicht, dass er je zurückkommen würde. Selbst wenn die Tunnel fertiggestellt wurden, wie sollte ich dort hinkommen? Und selbst wenn ich es schaffte zu fliehen, wie sollte ich allein in der Wildnis überleben, ohne Waffen und Essen, wenn mir die Soldaten des Königs mit nur wenigen Stunden Abstand folgten?
Beatrice rückte näher an mich heran und rieb die dünne Haut ihres Handrückens. »Seit Sie angekommen sind, frage ich mich … ob irgendjemand hier wirklich glücklich sein kann. Man muss sich vermutlich an bestimmte Illusionen klammern. Vielleicht ist es dumm zu hoffen«, sagte sie und starrte auf einen Fleck auf dem Boden. »Es gingen Gerüchte im Palast herum. Die Arbeiter haben geredet. Ist es wahr, was Sie für den Jungen getan haben?«
Ich nickte leicht, diese Frage würde ich nie wirklich beantworten können.
»Das war tapfer«, sagte Beatrice und legte mir die Hand auf den Rücken.
Ich wischte mir die Nase ab, die Erinnerung an Calebs misshandeltes Gesicht kehrte zurück, an die weiche rote Wunde auf seiner Stirn, den Striemen auf seiner Wange. »Es fühlt sich aber nicht so an«, sagte ich. »Vielleicht sehe ich ihn nie wieder.«
Beatrice atmete tief aus. Ihre Finger wanderten über den Bettüberwurf und gruben sich in den weichen goldfarbenen Stoff. Meine Haare rochen noch immer nach Zigarrenrauch. »Man tut alles für den Menschen, den man liebt«, sagte sie schließlich. »Und selbst wenn man denkt, man kann nicht noch mehr von sich selbst geben, tut man es trotzdem. Man macht immer weiter. Denn das Gegenteil würde einen umbringen.« Sie drehte sich zu mir, in ihren grauen Augen schwammen Tränen. »Ich habe auch mit dem König verhandelt.« Eine Strähne ihres grauen Haars fiel ihr ins Gesicht und verdeckte ihre Augen.
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich.
»Bei der Volkszählung musste man Fragen beantworten. Wollte man in der Stadt leben? Wollte man außerhalb der Stadt leben? Welche Fähigkeiten hatte man anzubieten? Welche Mittel konnte man zur Verfügung stellen? Einige Leute besaßen Firmen, Lagerhäuser voller Waren. Ich hatte vor der Epidemie Büros geputzt. Ich hatte nicht viel Geld, meine Tochter und ich hatten nichts, was sie wollten. Wir wurden der niedrigsten Kategorie zugeordnet und bekamen die schlechteste Arbeit und Unterkunft. Wir sollten mit den anderen in den Außenbezirken leben. Nach dem Chaos, das auf die Seuche folgte, waren die Leute nicht sicher, was das bedeuten würde, ob alles so weiterginge – dass Menschen um Essen kämpften und sauberes Wasser, ob es noch gewalttätigere Überfälle geben würde.
Doch man erklärte mir, ich hätte Glück gehabt. Ich sei unter Tausenden ausgewählt worden. Sie erzählten mir, dass auf meiner Bewerbung ein Vermerk gewesen sei, und man bot mir eine Arbeit im Palast an. Meine Tochter könne allerdings nicht mit mir kommen. Sie würde auf eine der Schulen gehen. Wir würden nicht in Kontakt bleiben können, doch sie käme nach ihrem Abschluss zurück in die Stadt, falls sie sich für das Leben dort entschied. Jetzt ist mir klar, dass sie einfach mehr Kinder für die Schulen und die Arbeitslager haben wollten, so viele, wie sie kriegen konnten. Die Schulen …« Beatrice stieß ein kurzes trauriges Lachen aus. Sie rieb sich die Wange. »Das waren angeblich Orte der hohen Bildung, wo die Mädchen eine ausgezeichnete Ausbildung erhielten. Sie erzählten mir, dass sie dort viel mehr bekämen, als wenn sie in der Stadt lebten. Als ich von der Goldenen Generation hörte, versicherten mir alle, dass es nicht verpflichtend war, dass die Teilnehmerinnen der Gebärinitiative sich freiwillig gemeldet hätten. Sie behaupteten, die Mädchen könnten sich entscheiden. Aber dann kamen Sie hierher …«
»Wie alt ist sie?«, fragte ich. »Wissen Sie, auf welcher Schule sie ist?«
Beatrice schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Ich war schwanger, als sich die Seuche ausbreitete. Sarah wurde gerade letzten Monat fünfzehn.« Sie schaute mich mit geröteten, tränengefüllten Augen an, ihre Lippen zuckten, als versuchte sie, das Weinen zu unterdrücken. »Kennen Sie dort noch jemanden? Irgendjemanden, bei dem Sie ein Wort für mich einlegen könnten?«
Ich nahm ihre Hand, meine Finger zitterten. Ich dachte an Schulleiterin
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