Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
nicht den geringsten Zweifel«, sagte Reginald. Er drückte mit dem Daumen hinten auf den Stift und die Mine verschwand. »Ich freue mich schon darauf, diesen Artikel morgen früh herauszubringen. Alle werden aus dem Häuschen sein.«
Der Rauch umhüllte meinen Kopf. Hier stand ich nun als die Verlobte von Charles Harris, aufgetakelt in Kleid und hohen Schuhen, und tat, was ich geschworen hatte, nie zu tun. Ich vergegenwärtigte mir so oft jenen Moment im Gefängnis, Calebs zerschundenes Gesicht, die Schwellungen auf seinem Rücken. Sie hätten ihn sonst getötet, redete ich mir ein. Ich hatte es auf die einzige Art und Weise verhindert, die mir zur Verfügung stand.
Aber trotzdem war ich nun Teil des Regimes, in den Augen der Dissidenten war ich zweifellos eine Verräterin. Ich stellte mir vor, wie Curtis in der Fabrik über meine Verlobung lesen und den Artikel als Beweis hochhalten würde, dass er mich immer richtig eingeschätzt hatte. Selbst wenn die Tunnel fertig gebaut wurden, konnte ich sie nicht zur Flucht nutzen.
Der Finanzminister gab Reginald von der anderen Seite des Raums ein Zeichen. Er stand in einer Gruppe Männer, seine blonden Haare waren mit Gel zu einem festen Helm zurückgekämmt. »Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden, ich habe noch etwas zu erledigen.« Reginald hob erneut sein Glas. Dann ging er davon, wobei er einer Frau in Pelzstola auswich.
Das Restaurant war zu stickig. Der Rauch waberte durch den Raum und sammelte sich unter der Decke. Ich hielt mir die Hand vor den Mund, weil ich keine Luft mehr bekam. »Ich muss auf mein Zimmer«, sagte ich und schüttelte Charles’ Hand ab.
Der König stellte sein Glas auf das Tablett eines Kellners. »Du kannst nicht einfach davonlaufen«, sagte er. »Die Gäste sind deinetwegen hier, Genevieve. Was soll ich ihnen sagen?« Er deutete auf den Raum. Einige hatten auf ihren Stühlen Platz genommen, andere standen beieinander und stellten Spekulationen an, ob es der gesundheitliche Zustand von Charles’ Mutter erlauben würde, bei der Hochzeit anwesend zu sein.
Charles nickte dem König zu. »Ich kann sie auf ihr Zimmer bringen«, flüsterte er. Er griff nach meiner Hand und drückte sie so sanft, dass es mich verblüffte. »Ich denke, alle werden verstehen, dass wir früh gehen. Es war eine lange Nacht. Die meisten Gäste werden sowieso bald aufbrechen.«
Der König sah sich im Raum um und vergewisserte sich, dass die wenigen Leute, die neben uns standen, der Unterhaltung nicht gelauscht hatten. »Vermutlich ist es besser, wenn ihr zusammen geht. Verabschiedet euch nur bei ein paar Leuten, ja?« Er schüttelte Charles’ Hand und zog mich in eine Umarmung. Mein Gesicht drückte gegen seine Brust, seine Arme lagen um meinen Hals und erstickten mich. Dann mischte er sich unter die Menge. Rose winkte ihn heran, sie hielt ein zweites Glas in der Hand.
Charles und ich liefen Richtung Tür. Wir gaben den Gästen, an denen wir vorbeikamen, hastige Erklärungen – die ganze Aufregung sei zu viel für einen Tag gewesen. Als wir schließlich draußen vor den geöffneten Geschäften standen, abseits der Menge, hielt Charles meine Hand noch immer fest. Sein Gesicht war nah, seine Finger umschlossen meine. »Was ist los?«, fragte ich.
»Ich warte darauf, dass sich etwas zwischen uns ändert«, flüsterte er, seine blauen Augen sahen mich an. Ich blickte über die Schulter zu den zwei Soldaten, die hinter uns herliefen. Sie waren ungefähr zehn Meter entfernt, schlenderten an dem geschlossenen Haushaltswarengeschäft vorbei, in dessen Schaufenster Töpfe und Pfannen ausgestellt waren. »Ich weiß, das ist nicht ideal …«
»Ideal?« , fragte ich. Das Wort brachte mich zum Lachen. »So kann man es auch ausdrücken.«
Er sah nicht weg. »Ich glaube, wir brauchen einfach mehr Zeit. Um einander wirklich kennenzulernen. Sie haben mir gesagt, dass du Gefühle für ihn hast, aber das muss nicht bedeuten, dass das hier nicht mehr werden kann. Dass es sich nicht zu … etwas entwickeln kann.« Ich war dankbar, dass er das Wort nicht aussprach, von dem wir beide wussten, dass er es dachte: Liebe.
Ich entzog ihm meine Hand. Sie sah so fremd aus mit dem glitzernden Ring, wie irgendein Bild aus einem Buch. »Das wird nicht passieren«, flüsterte ich und ging voraus. Ich schloss die Augen und eine Sekunde lang konnte ich Caleb fast neben mir spüren, sein leises Lachen hören, den süßen Schweiß auf seiner Haut riechen. Wir waren wieder im Flugzeug, sein
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