Eve & Caleb - 02 - In der gelobten Stadt
Burns, ihr schlaffes, unglückliches Gesicht, wie sie von Anfang an das Schicksal der Absolventinnen gekannt hatte, wie sie mir die Hand auf den Rücken gelegt hatte, während ich diese Vitamine schluckte, wie sie mich jeden Monat zur Ärztin geschleppt hatte. Ich wusste nicht, was aus Lehrerin Florence geworden war, ob man herausgefunden hatte, dass sie mir bei der Flucht geholfen hatte. »Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Ich kann es versuchen.«
Beatrice drückte meine Finger so fest, dass sich ihre Knöchel weiß färbten. »Das wäre schön«, sagte sie mit zitternder Stimme.
Ich umarmte sie, fühlte, wie schmächtig sie war und wie krumm ihre Schultern waren. Ihre Hände krallten sich hinter meinem Rücken ineinander. »Ja«, war alles, was ich herausbrachte, als wir dort in der Stille des Zimmers saßen. »Ich werde es versuchen.«
ZWEIUNDDREISSIG
»Nun schau dich an, Charles Harris!«, rief Mrs Wentworth und stieß Charles scherzhaft gegen die Brust. »Du siehst besser aus denn je. Das müssen wohl die Auswirkungen der Liiieeebe sein«, sagte sie gedehnt und schwenkte die Hüften. Man hatte mir erzählt, dass Amelda Wentworth eine bekannte Witwe in der Stadt war, eine der ersten Gründerinnen, die dem König sowohl Zugriff auf das Vermögen als auch auf die Spedition ihres verstorbenen Mannes gewährt hatte. Sie war für Charles wie eine Tante gewesen und hatte seit seiner Jugend, als er neu in der Stadt gewesen war, auf ihn aufgepasst.
»Und Ihr, Eure Königliche Hoheit«, fügte sie mit einem Hofknicks hinzu, »wie aufregend muss das für Euch sein. Den einen Tag lebt Ihr in einer der Schulen und am nächsten seid Ihr hier, innerhalb der Stadtmauern. Prinzessin Genevieve.« Sie stand neben uns und drehte sich ständig, um sich auf der dicht gedrängten Party umzusehen.
Wir waren im Penthouse von Gregor Sparks, einem der Männer, die nach der Epidemie ihr Vermögen gespendet hatten. Das dreistöckige Apartment auf dem Dach des Cosmopolitan-Gebäudes hatte einen Wasserfall in der Mitte des Zimmers und restaurierte Matisse-Gemälde an den Wänden. Es war eine der zahllosen Verlobungspartys, dieses Mal gab es dünne, mit Käse bestrichene Cracker und ein ganzes Spanferkel, das auf einer Silberplatte angerichtet war. Es war größer als die, die wir bei Schulzeremonien gehabt hatten, seine Keulen spreizten sich breit, als ein Arbeiter in das zarte Fleisch schnitt.
»Es war ein Traum«, sagte ich mit eingefrorenem Lächeln, während ich ihre mit Haarspray steif gesprühten Locken und die angetrockneten Lippenstiftreste in ihren Mundwinkeln wahrnahm.
Einige Gäste lehnten sich auf Gregors langer s-förmiger Couch zurück, ihr fröhliches Geplapper erfüllte den Raum. Die Frauen trugen allesamt Abendkleider und Seidenschals, während die Männer in gestärkten Hemden, Krawatten und zugeknöpften Westen erschienen waren. Es war eine andere Welt als die jenseits der Mauer, und bei Gelegenheiten wie dieser, eingehüllt von den Gerüchen von Glühwein und Braten, fühlte sich die Wildnis weit weg an, wie ein anderer Planet in einer weit entfernten Galaxie.
»Kotelett?«, fragte ein Kellner und hielt mir ein Silbertablett unter die Nase.
Ich nahm ein Stück des rosa Fleisches am Knochen und führte es zum Mund, der scharfe Geruch von Knoblauch kribbelte in der Nase. Als ich das Kotelett so zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, kam mir eine Erinnerung hoch: Pip und ich, wie wir uns im Gebüsch über einen grauen Hügel beugten, den wir gefunden hatten. Ein Hügel aus Pelz, der Schwanz verdeckte den Rest des Körpers. Pip war darauf zugekrochen, entschlossen, ihn aufzuheben und herauszufinden, ob er krank oder tot war. Als sie sich heruntergebückt und in den Fuß gekniffen hatte und schließlich daran zog, hatte sich das verweste Fleisch abgelöst. Wir hatten geschrien und waren aus dem Gebüsch gerannt, sie hatte ihn diese eine Sekunde gehalten – den dünnen, blutigen Knochen.
Galle stieg in meiner Kehle auf. Ich konnte noch immer Pips Schrei hören. Ich legte das Fleisch auf den Teller zurück und wandte mich ab.
»Was hast du denn?«, fragte Charles, seine Hand lag noch immer auf meinem Rücken.
»Mir ist übel«, sagte ich und wich ihm aus. Ich presste eine Serviette auf meine Stirn und meine Lippen und versuchte, mich zu beruhigen. Ich hatte letzte Nacht von ihr geträumt. Pip in einem der Metallbetten, Ruby neben ihr, daneben Arden. Ein anderes Mädchen war aufgetaucht, ein jüngeres, ihre Züge
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