Eve & Caleb - 03 - Kein Garten Eden
die deutlich jünger als wir waren. Eine zwölf Jahre alte Waise ist keine anderthalb Kilometer vor der Schule entführt worden, praktisch im selben Moment, als sie das Gelände verlassen hatte.«
Sarah stellte eine weitere Flasche ab und versuchte, sie so gut es ging mit einem der verbogenen Plastikdeckel zu verschließen. »Aber vielleicht war das auch eine Lüge. Lehrerin Rose hat das behauptet und sie hat noch eine ganze Menge mehr erzählt.«
»Es ist noch nicht zu spät«, widersprach Bette. »Wir können immer noch zurückgehen. Wir müssen einfach nur einen der Soldaten suchen und ihm sagen –«
»Das werdet ihr nicht«, unterbrach ich sie. »Ihr kommt mit uns nach Califia. Vielleicht versteht ihr es jetzt noch nicht, aber eines Tages werdet ihr das. Ihr könnt jetzt nicht mehr zurück.«
Bette schüttelte erneut den Kopf. »Wir kennen dich doch noch nicht mal.« Sie sah einige der Mädchen an. »Was glaubt ihr, was da draußen aus uns wird? Wir werden es nicht schaffen. Es ist mir egal, was sie sagen – in der Schule waren wir sicher.«
»Ihr wart dort niemals sicher«, antwortete Clara. Sie hob einige Decken auf und reichte sie an die Mädchen weiter, wohl in der Hoffnung, dass die Diskussion damit beendet wäre, aber ich konnte sehen, dass Bette noch nicht bereit war, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Sie flüsterte dem zierlichen Mädchen, das sich neben ihr zusammengerollt hatte, etwas zu, und für einen Moment zogen die kommenden Wochen vor meinem inneren Auge vorbei und ich erkannte, wie schwer es werden würde, sie zu beschützen.
Draußen vor dem Fenster bildete der Himmel eine gesprenkelte graue Masse, während sich der Mond immer noch hinter Wolken verbarg. Es regnete weiter ohne Unterlass und die dicken Tropfen prasselten seitwärts gegen die Vorderseite des Hauses. Das Wasser sammelte sich auf dem Boden unter dem Fensterbrett. Als Beatrice sich neben Sarah auf den Boden setzte, blieben meine Augen an einem einzelnen Punkt am Horizont hängen; die Lichter waren anfangs so klein, dass sie kaum zu erkennen waren. Auf dem zerstörten Highway über uns kam ein Jeep auf uns zu – der erste, den wir in den Stunden seit unserer Flucht sahen.
»Was?«, fragte Clara und richtete den Blick auf die Straße. »Was ist?«
Bette drehte sich um. Sie erkannte im selben Moment, was vor sich ging. Der Jeep schoss holpernd über den löchrigen Asphalt. Auf seiner Rückseite leuchtete ein Suchscheinwerfer auf und jemand drehte ihn seitwärts und richtete ihn auf die Häuser. Der Jeep verlangsamte die Geschwindigkeit, als er vorbeifuhr.
Ich ging einen Schritt auf Bette zu und versuchte, mich zwischen ihr und dem Fenster zu positionieren, aber sie war zu schnell. Sie war bereits auf den Beinen, nur wenige Zentimeter vom Fenster entfernt, und winkte wie wild mit beiden Händen. »Wir sind hier«, rief sie, ihre Stimme ganz rau und schrill. »Hier drüben!«
Ich hielt ihr den Mund zu und zerrte sie zurück ins Zimmer. »Verhaltet euch ruhig«, befahl ich dem Rest der Mädchen. »Geht von den Fenstern weg – sofort.« Bette versuchte einen kurzen Augenblick lang, sich aus meinem Griff zu winden, aber ich drückte sie noch fester an mich, mit dem Rücken zu mir, während ich ihr weiter den Mund zuhielt.
Clara dirigierte die Mädchen zur vorderen Wand. Sie lugte aus dem Fenster, als der Jeep näher kam. »Er wird langsamer«, flüsterte sie. Sie senkte den Kopf und schloss die Augen für einen Moment, während sie sich ans Mauerwerk drückte.
Der Himmel vor dem Fenster wurde heller, als der Scheinwerfer über die Häuser neben unserem schweifte. Ich hörte das leise Atmen der Mädchen, und Bette versuchte, mir etwas zu sagen, doch ihre Worte wurden von meiner Hand gedämpft. Dann, auf einmal, wurde das dunkle Zimmer hell erleuchtet. Zum ersten Mal konnte ich jeden einzelnen Riss in der Tapete erkennen, ich sah, wie die Decke an einigen Stellen durchhing und wie schmutzig und voller Staub und Sand der Boden war. Ausgelatschte, löchrige Schuhe lagen unter dem Bett verstreut. Wir saßen schweigend da und blinzelten in das gleißende Licht, während wir beobachteten, wie es über uns hinwegschweifte.
Der Jeep fuhr weiter. Clara drückte ihr Gesicht an die Mauer und sah wieder auf die Straße hinaus. »Sie fahren weg«, sagte sie eine ganze Weile später. »Ich kann kaum noch die Rücklichter sehen.« Sie blickte zu Bette, die sich unter meinem Griff völlig versteift hatte. Erst da fiel mir auf, wie fest
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