Eve & Caleb - 03 - Kein Garten Eden
Wahrscheinlich trug sie mehr als ein Kind aus, wie die meisten Mädchen im Lager. Seit unserer Ankunft wirkte sie ständig erschöpft; sie zog sich vor dem Abendessen in ihr Zimmer zurück, um stundenlang zu schlafen, wobei sie manchmal erst aufwachte, wenn die Sonne bereits untergegangen war. »Ich lasse dich nicht noch einmal zurück«, sagte ich.
»Aber ich kann nicht, Eve.«
»Ich weiß, dass du nicht mitkommen kannst«, antwortete ich. »Also werde ich auch nicht gehen.« Ich legte ihr den Arm um die Schulter. Sie vergrub ihr Gesicht an meinem Hals und mit einem Schlag kehrten wir in unser wohlig vertrautes Schweigen zurück. In der Schule waren wir immer gut darin gewesen, uns den wenigen Raum in stillem Einverständnis zu teilen. Wir waren zusammen allein, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
Eine ganze Weile verstrich, bevor Claras Stimme über den Strand zu uns herüberschallte. »Wir sind fertig«, bekräftigte sie, indem sie das letzte T-Shirt auf den Steinen ausbreitete. Sie kam auf uns zu, wobei ihr Gesichtsausdruck langsam wärmer wurde. Ich konnte daran ablesen, wie erleichtert sie war, uns miteinander reden zu sehen. »Ich wollte mit den Mädchen heute Nachmittag trainieren, vorausgesetzt, die Pferde sind bereit?« Sie blickte Pip an.
»Müssten sie eigentlich«, antwortete sie. »Ruby füttert sie jeden Morgen. Sie kann euch zum Stall bringen – er befindet sich knapp fünfhundert Meter von hier.«
»Alles klar«, entgegnete Clara, während sie sich die Hände an ihrer Hose abwischte. »Sobald die Mädchen den Bogen raushaben, können wir aufbrechen. Gib mir zwei Tage, höchstens drei, je nachdem, wie die Pferde mitspielen.«
Clara hatte in den Stallungen der Stadt reiten gelernt, wo sie einige Jahre trainiert hatte. Sie hatte mich einmal mitgenommen und ich hatte gerade eben genug gelernt, um das Pferd dazu zu bringen, einige Runden um den großen Sandplatz zu drehen.
»Ich bleibe hier«, verkündete ich. Es gelang mir nicht, ihr dabei ins Gesicht zu sehen. »Ich bleibe bei Ruby und Pip, bis wir gefahrlos nach Califia aufbrechen können.«
»Nur ihr drei?«, fragte sie. »Was ist mit den Mädchen?«
»Ihr müsst ohne mich gehen. Ihr seid in der Lage zu reiten und ich kann dir die Route zeigen, die ihr nehmen müsst. Kann sein, dass ihr in Califia ohne mich sogar sicherer seid. Sie wissen nicht, dass es eine Verbindung zwischen meinem Vater und dir gibt.«
Clara stand einfach nur da. Sie wandte den Blick nicht ab, als warte sie darauf, dass ich es mir noch einmal anders überlegen und meinen Entschluss rückgängig machen würde. »Ich komme nach, sobald ich kann«, versuchte ich mein Glück. Ich stand auch in Claras Schuld, nachdem sie mit mir aus der Stadt geflohen war. Wie ich mich auch entschied, egal, ob ich blieb oder ging: Ich ließ eine meiner Freundinnen im Stich. »Ich kann sie nicht einfach hier zurücklassen.«
»Schon klar, ich verstehe«, antwortete Clara, aber sie sah an mir vorbei zu der Stelle, wo der Strand an den Waldrand stieß. »Den Rest des Weges schaffen wir auch alleine.«
»Es ist ja nicht für lang«, sagte ich, aber sie hatte sich bereits abgewandt und stapfte mit schnellen Schritten über den Strand.
VIERUNDZWANZIG
Benny und Silas erreichten das Wasser als Erste. Sie stürzten sich hinein, tauchten unter und bewegten sich dabei so natürlich wie Fische. Sekunde um Sekunde verstrich, während ich den See absuchte und darauf wartete, dass sie wieder an die Oberfläche kamen. Als sie schließlich auftauchten, waren sie einige Meter vom Ufer entfernt und schubsten einander spielerisch.
»Wie haben sie das gemacht?«, fragte Bette. Vorsichtig zog sie die Schuhe aus, woraufhin ihre Füße im Sand einsanken. »Sie sind einfach verschwunden.«
Sarah watete ohne große Umstände hinein und hielt erst an, als ihr das Wasser bis zu den Knien reichte. Tapfer wagte sie sich weiter vor, aber ihre Bewegungen waren lange nicht mehr so sicher. Sie hielt den Blick fest auf die sich kräuselnde Wasseroberfläche gerichtet. »Jetzt wird es schwierig«, rief sie Beatrice zu, die mit Clara an ihrer Seite hinter mir stand. »Ich kann meine Füße nicht mehr sehen. Weiter traue ich mich, glaube ich, nicht.«
Ihre Stimmen drangen wie aus weiter Ferne an mein Ohr. Ich hatte den Mädchen versprochen, ihnen das Schwimmen beizubringen, bevor sie aufbrachen. Ich konnte mich noch erinnern, wie Caleb es mir damals beigebracht hatte: wie das Wasser über mir zusammengeschlagen war, als ich
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