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Eve & Caleb - 03 - Kein Garten Eden

Eve & Caleb - 03 - Kein Garten Eden

Titel: Eve & Caleb - 03 - Kein Garten Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Carey
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sah, wie das Blut aus ihm herausfloss und von seiner Jacke auf den Boden tropfte, wo es im dicken Teppich versickerte. Er lehnte zusammengesunken an der Vorderseite seines Schreibtisches; seine Schultern hingen schlaff herab, sein Kinn ruhte schwer auf seiner Brust. Nun, da er tot war, verspürte ich keinerlei Erleichterung. Vielmehr dachte ich an dieses eine Foto, das er an dem Tag, an dem wir uns zum ersten Mal begegnet waren, in der Hand gehalten hatte und dessen Papier da, wo er es festgehalten hatte, ganz zerknautscht gewesen war. Es war in meiner allerersten Woche im Palast aus meinem Zimmer verschwunden. Beatrice hatte stundenlang danach gesucht. Darauf hatte so ein belustigter Zug auf seinem Gesicht gelegen, während er den Blick auf meiner Mutter ruhen ließ und sich ansah, wie ihr der dunkle Pony in die Augen fiel. Er hatte glücklich ausgesehen.
    Ich öffnete den Knopf an seinem Jackett, wobei ich zum ersten Mal das Holster bemerkte, das um seinen Arm geschlungen war und an dem der lederne Beutel hing, in dem er seine Waffe verborgen hatte. Ich wollte nicht hinsehen, aber ich musste. Meine Finger tasteten nach der Innentasche. Dem Quadrat, das gegen die Seide drückte. Es war noch da. Er hatte es bei sich getragen; das Foto steckte in der linken Innentasche seines Jacketts, gleich über seinem Herzen.
    Ich schnappte nach Luft, als dieses schwere, erstickende Gefühl in mir aufstieg, ohne dass ich es hatte kommen sehen. Meine Eltern – hier waren sie, vor dem Ausbruch der Epidemie. Sie waren zusammen, für immer in jener Zeit festgehalten. Ich schob das Foto unter mein Tanktop, damit ich es nicht verlieren konnte. Er hat die Wahrheit gesagt, dachte ich, während ich darum kämpfte, nicht in Tränen auszubrechen. Er hat sie geliebt. Darüber hat er mich nicht belogen.
    Die Stadt draußen war still und unbewegt. Ich wusste, ich musste verschwinden, aber ich konnte mich nicht rühren. Immer wieder streckte ich die Hand nach seiner aus und drückte seine Finger. Erst als es klopfte, schrak ich hoch und erinnerte mich wieder daran, wo ich war und was ich getan hatte.
    Der Türknauf drehte sich, doch das Schloss blockierte. Es folgte eine kurze Pause, dann rief eine männliche Stimme vom Flur aus: »Sir?«
    Hastig zog ich mich auf die Füße, während ich gleichzeitig den massiven Holzschreibtisch hinter mir, die Vorhänge zu beiden Seiten der hohen Fenster und die Schränke an der gegenüberliegenden Wand nach einem geeigneten Versteck absuchte. Der Soldat tippte auf dem Nummernfeld neben der Tür etwas ein, dann drehte sich der Türknauf erneut. Mir blieb gerade noch genug Zeit, mich hinter den Schreibtisch zu stürzen und unter der Platte zusammenzukauern, bevor die Tür aufging.
    Der Soldat rührte sich nicht. Ich konnte jeden seiner Atemzüge hören. Er stand so lange dort, dass ich anfing, sie zu zählen, um nur ja die Ruhe zu bewahren. »Jones!«, brüllte er schließlich durch den Flur. »Herkommen!« Dann hörte ich das gedämpfte Tappen von Schritten auf dem Teppich, gefolgt von einem leisen Flüstern, als er sich nur wenige Zentimeter entfernt auf der anderen Seite des Schreibtischs vorbeugte. »Sir? Können Sie mich hören?«
    »Was ist los?«, rief eine andere Stimme aus dem Flur.
    »Verständigen Sie den Lieutenant«, antwortete der Mann. »Der König ist erschossen worden.«
    Ich hielt die Hand auf der Waffe an meiner Hüfte. Zwischen der Unterseite des Schreibtisches und dem Teppich war ein Abstand von vielleicht zweieinhalb Zentimetern. Ich konnte den Schatten des Soldaten sehen, als er um den Schreibtisch herumging. Seine Beine bewegten sich an mir vorbei, die Füße nur wenige Zentimeter von meinen entfernt. An seiner rechten Stiefelspitze war das Leder abgewetzt und der Aufschlag seiner Hose hatte sich in dem schwarzen Schnürsenkel verheddert. Er wippte nervös mit dem Fuß, als er über mir einige Unterlagen durchblätterte. Ich wagte nicht, mich zu rühren. Die Luft pulsierte in meiner Lunge, denn ich traute mich nicht auszuatmen, aus Angst, dass er das Geräusch würde hören können. Schließlich wandte er sich um und ging zum Fenster.
    Mir blieben nur wenige Minuten, bevor ich hier in der Falle saß. Sobald der Lieutenant eintraf, würde der Raum verriegelt und durchsucht werden. Ich musste auf der Stelle verschwinden.
    Ich linste um den Rand des Schreibtisches. Die Tür stand sperrangelweit offen. Der andere Soldat befand sich am Ende des Flures, wo er hastig in sein Funkgerät sprach.

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