Eve - Das brennende Leben
und erkannten ihn in der jeweils anderen wieder. Er hatte sie an die Spitze ihres Berufes getragen, sie dort gehalten, aber dennoch nie ihre Freundschaft getrübt. Das war in der Welt der Konzerne, in der Burnout, Intrigen und schwierige Persönlichkeiten an der Tagesordnung
waren, etwas Seltenes. Außerdem hatte ihr Job sie reich genug gemacht, dass sie sich jedes nur erdenkliche Leben hätten leisten können. Dennoch blieben sie Agentinnen und wurden in der schwindelerregenden Höhe an der Spitze von derselben Kraft festgehalten, die sie dorthin katapultiert hatte. Sie gaben dafür alles, was sie nur konnten.
Ralea aß die letzten Reste des Caldari-Fastfoods auf und warf die Schachtel in den Mülleimer. Dann leckte sie sich die Fingerspitzen ab, rief per Video die Vid-Übertragung auf und ging die Missionsberichte durch.
Erneut ertönte die Türglocke. Ralea stöhnte innerlich, holte die Spritze mit dem Adrenalin wieder heraus und rief das Bild des Besuchers ab. Es war nicht Alder, sondern eine hübsche, ihr unbekannte schwarze Frau, die nur wenig jünger aussah als Ralea. Sie hatte langes Haar, das zu einem Zopf geflochten war. Ihr Gesicht zeigte ein dezentes Make-up. Ralea verspürte ein kurzes Aufflackern von Hass auf jemanden, der nach einem vollen Arbeitstag noch so aussehen konnte. Sie legte die Spritze weg – einer Fremden konnte sie durchaus etwas vormachen – und wischte sich mit den Fingern der anderen Hand das Fett vom Mund, bevor sie sie an das Zugangsfeld des VidCast legte.
Die Frau trat ein. Ralea erkannte das Logo der Schwestern von EVE auf ihrem Kleid.
»Ich heiße Shandra Neore«, sagte sie. »Ich gehöre dem Verbund aus Schwestern und DED an, der Ihren Konzern überprüft. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wissen Sie, warum wir hier sind.«
Ralea war nicht klar gewesen, dass sie ihre Abneigung so deutlich zur Schau stellte. Ihr Magen wollte sich umdrehen, aber sie versuchte, sich zusammenzureißen. »Ich bin überrascht, dass die Schwestern überhaupt auf diesem Gebiet operieren, denn ich dachte immer, dass Sie nur Opfer und brennende Kolonien tief im All retten.«
»Jeder braucht jemanden, der auf ihn aufpasst. Sogar Agenten. Unsere Arbeit ist zum Teil eine Reaktion auf die verhängnisvollen Ereignisse, die Ihr Beruf überhaupt erst hervorgebracht hat.«
»Was kann ich zu dieser späten Stunde noch für Sie tun, Miss Neore?«
»Ich habe hier einige Daten, die Sie sich bis zu der Besprechung ansehen sollten. Die Unterredung wird in ungefähr einer Woche anberaumt, so, wie Sie Zeit haben.« Sie legte eine kleine runde Datenscheibe auf Raleas Tisch.
»Wäre es nicht einfacher gewesen, die zu schicken?«, fragte Ralea. Ihr Magen krampfte wieder. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Finger leicht zitterten, doch als sie darauf schaute, waren sie absolut ruhig.
»Ich arbeite mit Menschen«, antwortete Shandra. »Ich wollte Sie im Vorfeld schon einmal kennenlernen und Ihnen die Chance geben, dem, was Sie meinen Aufzeichnungen entnehmen werden, ein Gesicht und eine Stimme zuzuordnen.«
Ralea nickte. »Miss Neore, ich bin sicher, dass wir uns hervorragend verstehen, wenn wir uns auf gesellschaftlicher Basis treffen, aber im Verlauf dieser Besprechung stehen wir auf verschiedenen Seiten. Ich weiß nicht, ob ein Besuch in meinem Büro am späten Abend da Abhilfe schaffen kann. Aber ich danke Ihnen auf jeden Fall für die Mühe.«
Shandra zuckte mit den Schultern. »Es schadet niemals, zu reden«, sagte sie.
Ralea wusste, dass sie die Chance ergreifen sollte, die Unterhaltung zu beenden. Das sollte sie wirklich. Aber sie hatte einen schweren Tag hinter sich. Außerdem verursachten die Kohlehydrate des Caldari-Essens in Kombination mit ihrem immer schlimmer werdenden körperlichen Unbehagen gerade genug Verärgerung, um sich auf einen dummen Streit einzulassen. Sie konnte nicht anders, als sich vorzubeugen und
leise mit einem Hauch Ironie in der Stimme zu fragen: »Warum tun Sie das?«
Die Schwester betrachtete sie lange. »Was könnten wir denn sonst tun?«, sagte sie schließlich. In ihrer Stimme schwangen sowohl Verbitterung als auch Freundschaftlichkeit mit.
Mit einem halberstickten Schnauben lehnte Ralea sich in ihrem Stuhl zurück und sah die Frau herablassend an. Revisoren spielten die Leute gegeneinander aus, setzten Arbeitsplätze und ganze Abteilungen aufs Spiel; teilweise sogar den ganzen Konzern. Ralea würde Überstunden machen müssen, um ihren Job aus dem Kreuzfeuer
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