Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
Sie ja.“ Deshalb wohl auch die Panik im Blick, als ich ihren Mann zu Hause interviewen wollte. Wie seltsam, ganz plötzlich hat sich ein Puzzlestück ins andere gefügt. „Warum haben Sie die DVDs damals nicht mitgenommen? Ich war eindeutig außer Gefecht.“
Claudia lächelt verhuscht und schüttelt den Kopf. „Ich bin damals auf die Idee gekommen: Wenn jemand die DVDs findet, könnten sie letztlich vielleicht doch gut für mich sein. Und fast wäre es ja auch so gekommen.“
[ 15. ]
Ich sitze an meinem Schreibtisch, starre in meinen Philodendron und überlege. Was soll ich schreiben? Was soll das für eine Story werden? Interessiert sich jemand für Evelyn und ihr kleines Leben? Zumindest jetzt? Im Nachhinein?
Ob Céline nächste Woche den internationalen Gesangswettbewerb gewinnt? Dann hat sie ihren ersten Plattenvertrag. Und vielleicht auch einige Engagement-Angebote. Sie wird einen Agenten brauchen. Ob sie wirklich die große Karriere macht, von der ihre Mutter geträumt hat? Céline wird alles dafür tun. Zumindest viel, sehr viel. Und sie wird sich nicht von Männern aufhalten lassen, die für sie die Falschen sind. Wird sie erkennen, wenn ein Richtiger dabei ist? Gehört zum Leben nicht immer auch das Risiko, Fehler zu machen? Ob Roger bei Hans Tobler bleibt? Ich habe meine Zweifel. Wird Tobler wirklich kein Problem damit haben, wenn ich über den vertuschten Selbstmord schreibe, der fünfundzwanzig Jahre zurückliegt?
Ich habe bis heute am frühen Nachmittag Zeit. Der Chefredakteur hat mir zwei Seiten Platz gegeben. Zwei Seiten für ein ganzes Leben. Ich kann die Geschichte von Evelyn schreiben. Die Geschichte der „Three Friends“ und ihrer Hoffnungen. Die Geschichte eines Vaters, dem Ehre und Disziplin zu wichtig waren. Ich werde über eine geprügelte Frau schreiben, die selbst zur Täterin geworden ist. Muss das so sein? Nein, muss es nicht. Aber es kann so sein. Ein Leben in Abhängigkeit, Angst, Gewalt: Entschuldigt das einen Mord? Oder zumindest unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge? Osthof hat seiner Frau einen der besten Strafanwälte besorgt. Und er hat der Polizei versprochen, voll zu kooperieren – vorausgesetzt, man nehme seine Version der „Streitigkeiten“ ernst. Ein diktatorischer Vater: Entschuldigt er die Gewalt des Sohnes? Es gibt Eigenverantwortung. Wir können es besser, anders machen. Daran will ich glauben.
Vielleicht ist es am edelsten, nicht zu kämpfen, sondern zu leiden, zu verlieren. So wie Evelyn verloren hat. Ich schüttle den Kopf. Kann schon sein. Aber es ist nicht mein Spiel. Und ich gebe zu, dass mich nicht nur hehre Motive treiben, jetzt die Geschichte von Evelyn niederzuschreiben. Es ist auch Rache dabei. Rache an einem Exminister, der seine Familie terrorisiert hat. Freude, dass ans Licht kommt, was ein liberaler Wirtschaftsmeinungsforscher privat so treibt, wie brutal er noch heute versucht die Realität zu seinen Gunsten zu verdrehen.
Ich schreibe und beginne in dem Jahr, in dem Evelyn und Hubert und Hans voller Hoffnung waren. „Three Friends“, die es schaffen wollten.
Später, ich weiß nicht, wie viel später, höre ich jemanden mit dem Philodendron kämpfen. Ich habe meinen Kopf auf die Tastatur gelegt. Die Story ist im Layout. Ich muss den Kopf heben. Der Laptop verträgt keine Flüssigkeit. Ich weine weiter. Es ist Droch, der mich von hinten umarmt. Ich erkenne ihn an seinem Geruch. Irgendein dezentes Aftershave. Und etwas Leder. Und Rollstuhl. Er hat seinen Kopf an meinen gelegt, eine Träne rinnt über meine Wange, sie ist nicht aus meinem Aug, sie ist von anderswoher gekommen.
„Weine nur, Mädchen, das ist eine Story …“ Er reißt sich los, ich hebe den Kopf, er lächelt mich mit feuchten Augen an. „… die sich wunderbar verkaufen wird. – Und darum geht’s doch, oder? Keine Widerrede!“
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Eine Woche später. Vesnas Geburtstag. Gestern Abend haben wir gefeiert, Vesna wollte einladen, ich wollte kochen. Wir haben dann einen Kompromiss gefunden. Ich habe nicht viel vorbereitet außer den klassischen Heurigenaufstrichen. Und einen Schweinsbraten mit etwas Chili, damit es nicht gar zu traditionell wird. Vesna, ihre Zwillinge, Valentin, Oskar und ich. Carmen war eingeladen, aber sie musste für drei Tage zurück in die Schweiz. Alles Mögliche klären für ihr Postgraduate-Studium in Wien. Am besten hat Vesna der Quargelaufstrich geschmeckt. Und sie war begeistert, wie einfach das Rezept ist: Eine Hälfte Quargel, eine
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