Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
Haare, dunkle Jacke, dunkle Hose. Ist also doch jemand aus Evelyns Vergangenheit gekommen? Wer weiß überhaupt von ihrem Tod? Vesna hat Célines Vater in Banja Luka ausfindig gemacht. Sie hat mit seiner Frau gesprochen und die hat so getan, als kenne ihr Mann keine Evelyn Maier aus Österreich. Partezettel sind keine gedruckt worden, also hat Vesna Célines Vater einen kurzen Brief geschickt. Aber der ist wohl noch gar nicht angekommen.
Vor dem Tor zum Zentralfriedhof haben wir uns nach einem Maybach umgesehen. Keine von uns hat wirklich geglaubt, dass der Luxuswagen tatsächlich da stehen würde, dass der Pate aussteigt, uns ansieht und sagt: „Sie wusste zu viel über mich, wir mussten sie eliminieren.“ Das Leben spielt meist anders.
Der Sarg ist aus einfachem hellem Holz. Er scheint mir zu schmal für die voluminöse Frau. Hat man sie hineingequetscht? Mira, was für ein pietätloser Gedanke! Ein kleines Blumengesteck mit verschiedenfarbigen Rosen auf dem Sarg. „In Liebe Deine Kinder.“ Daneben ein Blumenstrauß wie die um zwei neunzig vom Hofer und eine einzelne weiße Lilie. Ich gehe vor und lege den kleinen Kranz mit Astern dazu. Céline nickt zur Begrüßung. Ich versuche Begräbnisse, wann immer es geht, zu meiden, also weiß ich auch nicht, ob ich jetzt zu ihr hingehen soll. Aber da kommt schon der Geistliche und flüstert auf Céline ein. Er stellt sich auf, bespritzt den Sarg und uns mit Weihwasser und erzählt dann in sehr gebrochenem Deutsch etwas von der „Güte des Herrn“. Hört sich an wie „Güterherrrr“. Scheint ein Pole zu sein, aus dem Land, in dem die Priester wachsen. Wäre der Herr wirklich gütig, dann hätte er Evelyn ihre Sozialwohnung gelassen, lästere ich lautlos. Aber so einfach ist die Sache wohl nicht, nicht einmal für „den Herrn“. Nur einige Minuten, dann ein Gebet und Ende. Wenige Minuten später zieht unser bescheidener Leichenzug zwischen den Grabsteinreihen des Zentralfriedhofs auf das Grab zu. Einige Gassen weiter ein Leichenzug mit viel mehr Menschen. Hundert müssen es sein, vielleicht auch zweihundert. Eine beliebte Person ist ums Leben gekommen, vielleicht auch nur eine Person mit hohem Bekanntheitsgrad oder mit Vermögen. Ein Wagen führt unseren Sarg, dahinter der Geistliche, dahinter gehen Céline und Roger, dahinter die Cousine, dahinter die unbekannte Frau und ganz zum Schluss Vesna, Jana und ich. Ich sehe mich immer wieder unauffällig um. Bei dem Grabstein mit dem Engel, da steht einer und beobachtet unseren Zug. Welchen Grund hat er, nicht mitzugehen? Dann beugt sich der Mann nach unten, nimmt eine Gießkanne auf und gießt. Er scheint nichts mit uns zu tun zu haben. Ich merke, dass auch Vesna sich umsieht. Aber Evelyn scheint niemanden außer ihre nächsten Angehörigen zu interessieren. Und nicht einmal alle von denen besonders. Wir gehen sicher eine Viertelstunde, kommen an neuen und alten Gräbern vorbei, an reich geschmückten und praktisch bepflanzten, an Namen wie „Freiherr von Stern“ und „Oberrittmeister Walther Klein“, an Kindergräbern und Grabsteinen mit den Bildern längst verstorbener Frauen, die aussehen, als hätten sie in ihrem Leben Millionen Gläser Marmelade eingemacht.
Am Grab warten die Bediensteten der Wiener Bestattung bereits, sie sind bestens darauf vorbereitet, wieder einen Sarg in die Erde zu lassen, und entsprechend schnell geht es auch. Ein kurzes Gebet, etwas Weihwasser und ab nach unten. Ein Schäufelchen Erde von jedem von uns, eine weiße Rose von Céline, Euromünzen in die Hand der Totengräber und vorbei ist das Ganze. Kalt und finster ist es da unten. Ich hasse alles, was kalt und finster ist, ich glaube, ich will eine Feuerbestattung. Noch ist es nicht so weit, Mira. Reden wir in einigen, in vielen Jahrzehnten darüber. Es kann so schnell gehen. Wer warst du, Evelyn?
Wir sitzen in einem der vielen Wirtshäuser, die es rund um den Zentralfriedhof gibt. Unsere Leichenfeier ist nicht besonders eindrucksvoll. Jana musste zu einem wichtigen Seminar und ist schon weg. Roger isst eine Riesenportion Schweinsbraten und beklagt sich, dass das Fleisch zu fett sei. Céline hat einen Salat bestellt, der immer noch nicht gekommen ist. Vesna und ich haben uns für Würstel mit Saft entschieden, da kann am wenigsten schiefgehen. Wir warten auch noch. Die Cousine ist nicht mitgekommen, sie müsse dringend wieder in die Firma, hat sie noch am Grab gesagt, als gehöre die Spedition ihr. Wer die fremde Frau ist, weiß
Weitere Kostenlose Bücher