Everlasting
denn bloß mit Yuka angestellt?», fragte Rouge, als wir uns zum Debriefing zusammensetzten. «Sie konnte beim Mittagessen gar nicht mehr aufhören, über dich zu reden.»
«Mit ihr angestellt? Wir haben bloß nach dem Memoscan ein frühes Abendessen eingenommen. Wir haben über unsere Arbeit gesprochen. Wieso? Was hat sie gesagt?»
«Sie hat rein gar nichts gesagt. Das ist es ja gerade. Sie hat einfach immerzu drauflosgeplappert.»
«Über?»
Sie verdrehte die Augen. «Über dich! Über deine Haarfarbe. Deine Augen. Deinen Bizeps. Deinen Charme.»
«Charme?»
«Ja! Stell dir vor. Du? Charmant?»
Ich lachte. «Jetzt willst du mich ärgern.»
«Kluger Junge. Ach so, ja: ‹Finn ist ja so ein kluger Junge. So gefühlvoll. So attraktiv.›» Sie äffte Yuka nach. Es war seltsam, eine Frau mit französischem Akzent zu hören,die den japanischen Sprechrhythmus nachahmte, diesen gleichmäßigen Takt, der sich wie ein Metronom durch die Sätze stampfte.
«Hat sie wirklich ‹gefühlvoll› gesagt?»
«Sie ist verknallt. Wie ein Schulmädchen.» Sie richtete sich auf. «Aber genug davon. Machen wir uns an die Arbeit.» Rouge war wieder ganz sachlich. Sie sah mich mit ihren scharfen Raubtieraugen an. «Also. Erzähl von Anfang an.»
Rouge war wie immer professionell und neutral. Sie stellte Fragen, ich antwortete: Was hast du gegessen? Worüber habt ihr geredet? Wo seid ihr hingegangen? Auch diesmal war das nicht anders. Doch mit jeder Reise wurde es schwieriger, die Fragen zu beantworten. Je größer die Intimität zwischen Eliana und mir wurde, desto weniger wollte ich mich Rouge offenbaren. Normalerweise ging sie schonend mit mir um, aber heute wollte sie nach rund einer Stunde lockerer Plauderei Genaueres wissen: Warum wollte Eliana Verhütungsmittel benutzen? Welche Art von Verhütungsmittel? Wie oft? Und was hatte sie an während des Geschlechts-
«Warum musst du das wissen?» Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
«Das gehört zu meiner Doktorarbeit. Keine Sorge, Finn. Es bleibt anonym.»
«Was ist mit dem Professor? Und Doc-Doc? Und jetzt auch noch Yuka?»
«Was hatte sie an, Finn?
Ich schluckte trocken. «Meistens nichts.»
«Und du?»
«Einen Werkzeuggürtel, der im Dunkeln geleuchtet hat.»
Vielleicht glaubte sie mir sogar.
Rouge bestätigte, dass in etwa zwei Wochen, am 19. Juni, ein Meeting mit allen Beteiligten an «Projekt Zeit» stattfinden würde, um die Einzelheiten unserer siebten und letzten Reise ins Berlin des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu erörtern. Die Reise sollte einen Zeitraum von zehn Tagen ab dem 8. September 2011 umfassen. Laut Plan würden wir schon Ende Juli 2265 aufbrechen. Ich hatte bis zum Start also rund sechs Wochen Zeit. Sechs Wochen, um Elianas neuestes Tagebuch zu entschlüsseln und zu übersetzen. Aber wichtiger war, dass ich sechs Wochen Zeit hatte, um das Chaos in meinem Gefühlsleben zu ordnen und eine Antwort auf die zentrale Frage zu finden: Wie verabschiede ich mich von Eliana? Diese letzte Reise erforderte einen Abschluss, ein Ende, einen Abgang. Mir graute davor. Aber mehr noch als vor dem Abschied graute mir davor, über das Danach dieses Abschieds in Elianas Tagebuch zu lesen. Als ihr Tagebuch am nächsten Tag geliefert wurde, sah ich als Erstes nach, auf welchen Tag ihr letzter Eintrag datiert war. Erleichtert stellte ich fest, dass es der 7. September war, also einen Tag, bevor ich zum letzten Mal ankommen sollte. Mir würde es also zumindest vorläufig erspart bleiben, zu erfahren, was nach unserem endgültigen Abschied passiert war. Seltsamerweise waren hinten wieder viele Seiten leer. Gab es ein weiteres Tagebuch, oder hatte Eliana einfach aufgehört zu schreiben?
Ich gebe zu, ich war versucht, zu der Woche im August vorzuspringen, die wir gemeinsam verbracht hatten, aber dann gewannen meine Skrupel doch die Oberhand. Elianas intimste Gedanken über mich zu lesen, über uns und unsere Liebesbeziehung, das grenzte an Perversion. Ich schloss die Tru-Copy weg und arbeitete mit digitalen Dokumentenauf meinem BB, die ich von den Einträgen zwischen dem 23. Juni und dem 1. August 2011 gemacht hatte. Letzteres Datum war der Tag vor meiner Ankunft und unserer anschließenden Fahrt an die Ostsee. Damit würde ich eine Weile beschäftigt sein. Die Einträge vom 2. August bis zum 7. September digitalisierte ich ebenfalls, aber ich ersetzte den Namen Finn automatisch durch ‹Swen› und konvertierte die Dateien in Dokumente, die
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