Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)
befinden, klingen diese nicht übermäßig vertraut oder nach einem Flirt. Kein Freund, soweit ich es beurteilen kann, was die Sache bedeutend leichter macht. Allerdings wird es nun noch mysteriöser, wohin Kailey in der Nacht ihres Todes wollte. Wie ihre Eltern habe auch ich bisher unbewusst angenommen, dass sie sich mit einem Jungen treffen wollte.
Ein Poltern am Fenster lässt mich aufspringen und zur Zimmertür zurückweichen. Oh Gott, denke ich, plötzlich der festen Überzeugung, dass ich jeden Moment das Gesicht von Cyrus im Fenster sehen werde. Mir bricht der Schweiß aus, Adrenalin schießt durch meinen Körper.
Ich packe den nächstbesten schweren Gegenstand – eine metallene Schmuckschatulle von Kaileys Kommode – und schalte das Licht aus. Der Raum versinkt in Dunkelheit, während ich mich auf den Boden knie. Geräusche sind von draußen zu hören, ein Kratzen und Schaben an der Außenmauer. Ich kneife die Augen zusammen und öffne sie wieder, mein Atem geht kurz und stoßweise.
»Kailey, keine Angst!«, flüstert eine Stimme.
Ich spähe zögernd zum Fenster hinüber, wo langsam ein Gesicht hinter der Scheibe auftaucht. Noah.
»Du hast mich vielleicht erschreckt«, sage ich scharf, während ich aufstehe. Ich bin wütend, aber auch erleichtert.
Ungeniert klettert er durch das Fenster, wobei die Leinentasche über seiner Schulter gegen die Wand schlägt.
Ich halte den Zeigefinger an die Lippen und murmele leise: »Pscht!«
»Wie ich höre, hast du Hausarrest«, flüstert er lächelnd. »Bryan hat es mir erzählt.« Noah klettert über das Bett und steht neben mir.
Er ist ziemlich groß und trägt graue Cordhosen und dieselbe schwarze Kapuzenjacke wie bei unserer ersten Begegnung. Ich kann die Nachtluft in seiner Kleidung riechen.
»Du solltest dich wirklich nicht so anschleichen, ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen«, zische ich und bedeute ihm, sich auf das Bett zu setzen. Ich schalte das Licht wieder ein, aber auf einmal erscheint es mir viel zu hell. Ich bekomme Angst, dass die Morgans hereinschauen könnten, und schalte es schnell wieder aus.
Noah zieht den Reißverschluss seiner Kapuzenjacke auf. »Du weißt aber schon, dass Licht keinen Lärm macht, oder?«, bemerkt er ironisch.
Ich kann ein Lächeln nicht unterdrücken. »Tut mir leid, wenn der Hausarrest mich leicht paranoid macht«, flüstere ich und setze mich auf Kaileys Schreibtischstuhl. Unter angespanntem Schweigen rolle ich ihn ein Stück zurück.
»Ich habe gehört, du hast heute eine Weile gesessen.«
»Ewig«, versuche ich zu scherzen. »Zwei ganze Stunden.«
Er fährt sich durch das schwarze Haar. Im Dunkeln ist es schwer auszumachen, aber ich glaube, ihn unter seiner Bräune erröten zu sehen. Aus irgendeinem Grund fühle ich mich an meine erste Begegnung mit Cyrus erinnert und frage mich, warum Noah heute Abend vorbeigekommen ist. Tut er das öfter?
Als ob er meine Gedanken gelesen hätte, räuspert er sich. »Egal. Ich habe dir etwas mitgebracht, weil ich ja wusste, dass du hier eingeschlossen bist.« Er greift in seine Tasche und holt lauter wunderbare Dinge hervor: einen Cupcake, einen Brownie und eine Flasche mit Granatapfellimonade.
»Danke«, sage ich, tief gerührt von der Tatsache, dass es in Kaileys Leben jemanden gegeben hat, der ihr Cupcakes bringt.
»Klar doch.« Er wendet den Blick ab und spielt mit den Schnürsenkeln an seinen abgetretenen Sneakers. »Ist doch keine große Sache.«
Wieder herrscht Schweigen, aber ich unternehme nichts, um es zu brechen. Aus Erfahrung weiß ich, dass die Menschen schon anfangen zu reden, wenn die Leere zu lange dauert, und gerade jetzt brauche ich jede Information, die ich bekommen kann.
»Wohin hast du dich heute weggeschlichen?«, fragt er schließlich und sieht mir in die Augen.
»Ich habe mich nicht irgendwohin weggeschlichen. Ich hatte bloß keine Lust auf Schule«, antworte ich kurz angebunden. »Hat jemand nach mir gefragt? Du hast doch hoffentlich niemandem von dem Unfall erzählt, oder?«
Er zupft an dem Kragen seines Hemdes und wirkt getroffen. »Natürlich nicht, Kailey, ich habe es dir versprochen.«
Da erkenne ich, dass ich ihn verletzt habe. »Tut mir leid«, sage ich tief seufzend. »Der Tag war echt lang.«
Seine Miene hellt sich auf, und er lächelt wieder. »Ja, ein Zusammenstoß mit dem Gesetz ist sicher nicht von schlechten Eltern.«
»Du hast ja keine Ahnung«, gebe ich zu. »Danke für den Cupcake. Schoko ist meine
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