Everlight: Das Buch der Unsterblichen. Roman (German Edition)
hinüber zu den Galerien. Die Atmosphäre ist festlich. Überall drängen die Leute sich auf den Gehsteigen und Straßen, trinken aus Plastikbechern oder Flaschen in Papiertüten. Eine Gruppe von Jungen fährt auf ihren Fahrrädern vorbei; in die Speichen sind bunte Foliendreiecke eingeflochten, wie eine Flotte von Windrädern. Überall stehen Tische, an denen fliegende Händler Siebdrucke und Schmuck, Geldbörsen aus Isolierband und gestrickte Mützen anbieten. Wir bleiben bei einer Frau stehen, die Cupcakes verkauft, und Leyla fragt sie, welche Sorten es gibt.
»Kürbis, Zitrone und Brathähnchen«, antwortet die Frau lächelnd.
Bryans Augen leuchten auf. »Haben Sie gerade Brathähnchen gesagt? Gibt es das tatsächlich?«
»Im Ernst«, stimmt Leyla ein. »Ich habe Angst, ich merke, dass ich tot bin, wenn ich das esse, weil es eine solche Kombination nur im Himmel geben kann.«
Bryan kauft für sich und Leyla Cupcakes und hält seinen spielerisch in die Höhe, als wollte er einen Toast ausbringen. Leyla tut es ihm nach. »Auf die perfekte Kombination von süß und herzhaft«, verkündet sie.
Wir schlendern durch die Galerien, betrachten auf Bowlingkugeln gemalte Porträts, Traumfänger aus Kabeln, Landkarten von Phantasieländern und Art-nouveau-Mosaike aus Flaschenverschlüssen. Noah interessiert sich für eine Serie Schwarzweiß-Fotografien von Kindern, die für den Tag der Toten geschminkt sind: kleine Jungen und Mädchen in Anzügen und Kleidern, auf die Totenköpfe gedruckt sind.
»Das ist wirklich gruselig«, sagt Bryan.
Wir bleiben vor einigen Bildern stehen, die mich an Kaileys Arbeiten erinnern, üppige Wasserfarben, junge Mädchen, die in Patchworkfeldern liegen oder in einem Becken voller Sterne schlafen. Ich frage mich, wie Kailey diese Bilder betrachten würde. Für mich erzählen sie eine Geschichte. Würde sie sich nicht eher auf die Technik konzentrieren? Würde sie wissen wollen, wie sie gemacht sind? Die Künstlerin kommt auf uns zu, ein junge Frau Ende zwanzig, die einen Schottenrock mit Rüschen trägt.
»Sie sind wunderschön«, sage ich.
»Danke«, erwidert sie und mustert mich eindringlich. »Haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen?«
»Ich glaube nicht«, stottere ich und drehe mich zu den anderen um. »Es ist ganz schön voll hier, lasst uns rausgehen.«
Auf der Straße ist es kalt, aber immerhin können wir uns frei bewegen. Wir kommen an einem Gitarrenspieler vorbei, der Folksongs spielt, einer Marionettenvorführung und einer Gruppe von jungen Männern in Baggy-Jeans und mit Oakland-Athletics-Baseballkappen, die neben einem Ghettoblaster tanzen. Ihre Bewegungen sind geschmeidig und anmutig, doch obwohl sie im Takt klatschen und dabei lächeln, strahlen sie eine ungeheure Traurigkeit aus.
Leyla erspäht ein Auto, das die Form einer riesigen Schnecke hat, und zieht uns dorthin. Die Menge gibt ein aufgeregtes Murmeln von sich, als aus den Fühler-Antennen Flammen in den Himmel schießen.
»Oh mein Gott, das muss ich mir ansehen«, sagt Leyla und geht schneller.
Die Schnecke hat die Farbe von altem Kupfer. Metallplatten sind zu einem Schneckengehäuse mit typischer Spiraloptik geschweißt, das den Hauptteil des Autos ausmacht. Ein filigraner Drahtkäfig bildet den Kopf der Schnecke, und die orangefarbenen Lichter der glühenden Antennen tanzen auf dem seidigen Lack. Libellenflügel ragen aus den Seiten hervor, aus dünnen Plastikscheiben, die wie Buntglas angemalt sind.
Leyla schiebt sich in die erste Reihe, wo der Künstler in Overall und Fedora steht. »Das ist toll«, ruft sie laut und fährt mit den Händen vorsichtig über die Oberfläche des Gehäuses. »Kailey, komm her!«
Als ich zu ihr trete, fragt der Künstler, ob wir die Flammen regulieren wollen. Er reicht mir eine Lederschlinge, mit der man das Gas kontrollieren kann. Ich ziehe daran, und sofort schießt Feuer zum Vergnügen der Menge dröhnend in den Himmel. Der Geruch nach Propangas steigt mir in die Nase.
»Wie heißt das Kunstwerk?«, fragt Leyla, als sie die Kontrollschlaufe von mir übernimmt.
»Fibonaccis Flug«, antwortet der Künstler.
Leyla runzelt die Stirn. »Sie sollten es in Phantastischen Feurigen Feenstreitwagen umbenennen.«
»Nein, ich finde, der Name ist genau richtig.« Er wirkt nicht besonders erfreut.
»Darf ich das Feuer noch einmal hochschießen lassen?«, fragt sie hoffnungsvoll.
»Nein, ich glaube, das reicht jetzt«, erwidert er abweisend.
Leyla und ich gehen lachend
Weitere Kostenlose Bücher