Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
Zimmer oben, in dem er all jene Erinnerungsstücke aufbewahrte, die
ihm am meisten am Herzen lagen – ein Zimmer, das ich erst ganz allmählich zu begreifen lernte.
Ich lasse mein Auto in der Einfahrt stehen und gehe direkt zur Haustür. Ohne mich mit Klingeln oder Klopfen aufzuhalten, trete ich ein. Ich stürme durch seine riesige Diele und die Treppe hinauf, da ich genau weiß, wo ich ihn finde und wohin er geht, wenn er sich schlecht fühlt, so wie im Moment.
Er steht am Fenster und wendet mir den Rücken zu, den Blick in eine unbestimmte Ferne gewendet, und beginnt sofort zu sprechen. »Es gab einmal eine Zeit, da fandest du diesen Raum gruselig. Da fandest du mich gruselig.«
Ich bleibe vor dem alten Samtsofa stehen und mache keinen Versuch, seiner Äußerung zu widersprechen. Ich mustere seine Sammlung aus handgewebten Gobelins, Kristalllüstern, goldenen Kerzenständern und gerahmten Meisterwerken – sichtbare Erinnerungen an ein sehr langes, ereignisreiches Leben, sichtbare Erinnerungen daran, dass das, was ich ihm abverlangen will, kein kleines Ansinnen ist.
»Es gab einmal eine Zeit, da warst du voller Groll gegen mich, dessentwegen, was ich dir angetan habe – was ich aus dir gemacht habe.«
Ich nicke, denn auch das lässt sich nicht leugnen – wir wissen beide, dass es wahr ist. Und obwohl ich wünschte, er würde mich ansehen, obwohl ich ihn in Gedanken bitte, sich umzudrehen, damit er mich sieht, bleibt er wie angewurzelt stehen.
»Und es ist offenkundig, dass du immer noch an diesem Groll festhältst. Deshalb stehen wir ja hier. So uneins.«
»Ich hege keinen Groll gegen dich«, sage ich, den Blick weiterhin auf seinen Rücken geheftet. »Ich weiß, dass du alles, was du getan hast, aus Liebe getan hast. Wie könnte
ich dir deswegen böse sein?« Meine Stimme wird gedämpft von alten Teppichen, schweren Portieren und unzähligen Seidenkissen, trotzdem hallt sie zu mir zurück und klingt wesentlich kleinlauter, als ich erwartet hätte.
»Aber jetzt stehen wir am Scheideweg.« Er nickt und spielt mit irgendetwas auf dem Fensterbrett, etwas, das er gezielt außer Sichtweite hält. »Du willst das ungeschehen machen, was ich getan habe, und zu deinem alten Sein zurückkehren, während ich so bleiben will, wie ich bin, und das Leben behalten möchte, an das ich mich mittlerweile gewöhnt habe.« Er seufzt. »Und angesichts all dessen sehe ich leider keine Aussicht auf einen Kompromiss. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir uns entweder irgendwie auf eine gemeinsame Zukunft einigen oder in verschiedene Richtungen aufbrechen und unser Leben getrennt verbringen müssen.«
Ich bleibe stehen und sage nichts. Seine Worte sind mir ein Gräuel, es zieht mir den Magen zusammen, und mir wird ganz flau, trotzdem weiß ich, dass er Recht hat. Wir müssen eine Wahl treffen, und zwar bald.
»Verstehst du, Ever, du hast dir zwar eine sehr starke und stichhaltige Argumentation aufgebaut, und meine Entscheidung ist in vielen oder vielleicht auch in allen Punkten komplett falsch – aber das hier war die ganzen letzten sechshundert Jahre das Einzige, was ich kannte. Dies ist das Leben, an das ich mich gewöhnt habe. Und so ungern ich es auch zugebe, ich weiß einfach nicht, ob ich dafür geschaffen bin, sterblich zu sein. Es ist mir zwar nicht schwergefallen, auf meine Extravaganzen zu verzichten, als ich dachte, mein Karma sei schuld an unseren Problemen – es war wirklich kinderleicht, meine handgenähten Lederstiefel gegen Gummi-Flipflops einzutauschen. Aber was du jetzt von mir
verlangst, ist etwas völlig anderes. Und mir ist durchaus bewusst, wie extrem heuchlerisch ich vermutlich klinge. Auf der einen Seite behaupte ich, dass mir der karmische Zustand meiner Seele ja so sehr am Herzen läge, doch auf der anderen wehre ich mich mit Händen und Füßen gegen die einzig realistische Lösung, die sich dafür bietet, aber trotzdem ist es einfach so. Platt gesprochen, habe ich einfach keine Lust, meine ewige Jugend und körperliche Perfektion aufzugeben, um zuzusehen, wie mein Körper alt und hinfällig wird und ich am Ende sterbe. Ich habe keine Lust, meinen Zugang zu Magie und Manifestieren und lockeren Reisen ins Sommerland aufzugeben. Ich bin einfach nicht dazu bereit. Vielleicht ist es für dich leichter, nachdem du ja erst seit einem Jahr unsterblich bist, im Gegensatz zu meinen sechshundert. Aber Ever, versuch bitte zu begreifen, dass meine Unsterblichkeit mich nun schon so lange definiert,
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