Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
her, während sein Verstand noch versucht, das zu verarbeiten, was er vor sich sieht.
»Sie wissen, dass ich das nicht tun kann«, sage ich mit flacher, ausdrucksloser Stimme. »Und Sie wissen auch, warum. Ja, Sie wissen sogar wesentlich mehr, als Sie dürften – wesentlich mehr, als ich je wollte.« Seufzend schüttele ich den Kopf und denke an den Tag vor ein paar Wochen, als ich in gedankenloser Eile auf eine nicht absehbare Katastrophe zugesteuert bin und direkt vor seinen Augen einen Strauß Narzissen und einen schwarzen BMW manifestiert habe. Damit habe ich ihm quasi aus dem Stand bewiesen, dass der volle Umfang meiner Seltsamkeit – meiner Kräfte – weit über die rein hellseherischen Fähigkeiten hinausgeht, von denen er bereits wusste. Er hat mich laufen sehen wie der Wind und wie ich Dinge erscheinen lasse, wo zuvor nur Luft war, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er, nachdem er über den Schock hinweggekommen war, wahrscheinlich begonnen hat, sich zu fragen, was ich noch so alles kann. Zumindest hätte ich das an seiner Stelle getan.
»Gehörst du auch dazu?«, fragt Mr. Muñoz und verlagert sein Interesse auf Damen, als suchte er nach einem passenden Plätzchen, wo er sämtliche Vorwürfe abladen kann.
»Ich bin der Grund, ja«, antwortet Damen wie aus der Pistole geschossen.
Unwillkürlich bleibt mir der Mund offen stehen, so verblüfft bin ich von seinen Worten und davon, wie genau sie
dem entsprechen, was Lotos gesagt hat. Ich frage mich, ob er das tatsächlich gemeint hat oder ob es nur ein Zufall ist, dass seine Worte eine exakte Entsprechung der ihren sind.
Mr. Muñoz überlegt und versucht zu begreifen. Er wollte eigentlich in die eine Richtung, während Damen eine ganz andere eingeschlagen hat, und jetzt muss er aufholen oder ihm zumindest auf halbem Weg entgegenkommen.
»Ich fand schon immer, dass irgendetwas an dir ausgesprochen sonderbar ist«, sagt er schließlich mit leiser, fast verträumter Stimme.
Damen nickt. Ich habe keine Ahnung, wie er das aufgenommen hat, da seine Miene absolut nichts verrät.
»Es ist fast, als würdest du nicht aus dieser Zeit stammen«, fügt Mr. Muñoz wie in Gedanken hinzu.
»Ich stamme auch nicht aus dieser Zeit.« Damen sieht ihn unverwandt an, und seine Antwort ist so einfach, so direkt und so unerwartet, dass es mir den Atem verschlägt.
Mr. Muñoz nickt und nimmt Damens Antwort gefasst auf, indem er so tut, als würde er ihm glauben. »Und aus welcher Zeit stammst du?«
»Aus einer Ihrer Lieblingsepochen.« Damens Mund verzieht sich zu einem angedeuteten Lächeln. »Aus der italienischen Renaissance.«
Mr. Muñoz schluckt, nickt und sieht sich in alle Richtungen um, als rechnete er damit, weitere Erläuterungen im Garten wachsen, im Pool treiben oder vielleicht auch an den Deckel des Grills geklebt zu finden. Immerhin verarbeitet er die Aussage mit mehr Gelassenheit, als ich erwartet hätte. Er tut so, als erstaunte es ihn überhaupt nicht, ein völlig ernsthaftes Gespräch über ein so merkwürdiges Thema zu führen.
»Dann ist die Alchemie also etwas Reales?«, hakt er nach
und trifft damit im Gegensatz zu den meisten anderen den Nagel auf den Kopf.
Jedenfalls, als ich versucht habe, Damens Seltsamkeit zu erklären, habe ich sofort auf Vampir getippt. Miles auch. Aber offenbar ist Mr. Muñoz nicht einmal annähernd so von der aktuellen Popkultur beeinflusst, deshalb kam er schnell auf die Wahrheit.
»Die Alchemie ist schon immer real gewesen«, erklärt Damen mit ruhiger Stimme, ohne sich auch nur im Geringsten anmerken zu lassen, was ihn das kostet – obwohl ich es mir gut vorstellen kann.
Sechs Jahrhunderte lang hat er darum gekämpft, die Wahrheit über seine Existenz geheim zu halten, nur um in diesem Leben auf mich zu treffen und mit ansehen zu müssen, wie sich alles auflöst wie ein mottenzerfressener Pulli. »Real, ja, aber nicht immer erfolgreich.« Mr. Muñoz’ Blick heftet sich auf Damen, und er sieht ihn offenbar in einem völlig neuen Licht, während Damen zustimmend nickt. »Und du, Ever?« Mr. Muñoz blickt mich an und versucht, auch mich in einem neuen Licht zu sehen. Doch trotz all meiner kolossalen Seltsamkeit bin ich eindeutig ein Produkt der modernen Welt, daran führt kein Weg vorbei.
Ich zucke kopfschüttelnd die Achseln und belasse es dabei.
»Wow. Es gibt so viel zu reden, so viel, was ich euch fragen will …«
Ich spähe beklommen zu Damen hinüber und hoffe, dass Mr. Muñoz jetzt nicht ein Sperrfeuer
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