Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
obwohl ich sprechen will, obwohl ich etwas Tiefschürfendes, Bedeutungsvolles sagen will, etwas, das alles Schlimme aufwiegt, das einst zwischen uns passiert sein mag, dauert es unter seinen beruhigenden, besänftigenden Händen und beim Klang seiner leise murmelnden Stimme an meinem Ohr nicht lange, bis ich aus dem Wachzustand in einen tiefen, traumlosen Schlaf gelockt werde.
Ich warte bis zum Vormittag, ehe ich es ihm erzähle.
Ich warte, bis wir geduscht und angezogen sind und unten in der Küche am Frühstückstisch sitzen, wo wir uns ein paar Flaschen gekühltes Elixier gönnen, während Damen die Morgenzeitungen überfliegt.
Ich warte, bis ich keine Ausrede mehr dafür habe, das, was gesagt werden muss, noch weiter aufzuschieben.
Es ist feige, ich weiß, aber ich tue es trotzdem.
»Also, was haben wir heute? Den zweiten oder den dritten Tag deiner einwöchigen Recherche?« Er sieht auf, faltet die Zeitung zusammen und wirft mir ein unwiderstehliches Lächeln zu. »Ich hab nämlich irgendwie den Überblick verloren.«
Stirnrunzelnd kippe ich die Flasche hin und her und beobachte, wie das Elixier glitzert und flammt, während es zum Rand emporschwappt und dann wieder nach unten fließt. Ich kaue auf meiner Lippe und überlege krampfhaft, wo ich anfangen soll. Schließlich komme ich zu dem Schluss, dass ich am besten einfach loslege und es keinen Grund gibt, das Unvermeidliche aufzuschieben, wenn ohnehin alle Wege letztlich zum selben Ziel führen. Ich streiche die hohlen Phrasen wie Bitte sei nicht sauer oder – ebenso nichtssagend – Bitte hör mich an und entscheide mich für die schonungslose Wahrheit. »Ich habe beschlossen, mich auf diese Reise zu machen.«
Mit hellerer Miene und leuchtenden Augen sieht er mich an, was mich auf der Stelle erleichtert. Doch meine Erleichterung ist nur von kurzer Dauer, sowie ich begreife, dass er meine Verwendung des Wortes »Reise« irrtümlich mit dem Urlaub gleichgesetzt hat, den er plant.
»O nein, nicht … nicht das«, murmele ich und fühle mich ganz elend, als ich sehe, wie sich seine Miene verfinstert. »Ich meinte die Reise, von der Lotos gesprochen hat. Denn wenn alles so gut läuft, wie ich hoffe, müssten wir dafür auch noch mehr als genug Zeit haben.« Ich lasse die Hände in den Schoß fallen und zwinge mir ein Lächeln ins Gesicht, doch das reicht nicht sehr weit. Es ist ein falscher Schritt meinerseits, und das weiß er auch.
Er wendet sich ab und scheint über meine gerade getane Äußerung sprachlos zu sein. Aber daran, wie er die Finger um die Elixierflasche krallt und sich sein Kiefer verkrampft, sehe ich, dass es ihm nicht an Worten fehlt, sondern er lediglich versucht, die richtigen zu finden. Lange wird er nicht mehr schweigen.
»Du meinst es ernst«, sagt er und sieht mich schließlich
an. Die Worte klingen mehr wie eine Erklärung als wie der Vorwurf, den ich erwartet habe.
Ich nicke und schicke rasch eine Entschuldigung hinterher. »Und es tut mir leid. Ich weiß, dass du das wahrscheinlich nicht gerade gern hörst.«
Er setzt eine Miene auf, die ich nicht deuten kann. Mit bedächtigen Worten beginnt er zu sprechen. »Nein, wirklich nicht.« Sein Ton lässt eine enorme Menge an Selbstbeherrschung spüren, die seiner Energie nicht entspricht. Obwohl er keine sichtbare Aura hat, spüre ich seine Vibration und fühle, wie sein Puls schneller wird.
Er will weitersprechen, doch ehe er die ersten Worte herausbringt, hebe ich eine Hand und halte ihn auf. »Hör mal, ich weiß, was du sagen willst, glaub mir«, sage ich. »Du willst mir sagen, dass sie verrückt ist, dass es gefährlich ist, dass ich sie ignorieren, mein Leben weiterleben und dir Zeit geben soll, damit du einen Weg findest, wie wir uns wieder richtig berühren können. Aber es geht nicht nur darum, dass wir in der Form zusammen sein können, wie wir es wollen. Es geht um mein Schicksal. Meine Bestimmung. Meinen Lebenszweck – und den Grund dafür, warum ich immer wiederkehre, warum ich zigmal wiedergeboren werde. Ich muss mich aufmachen, ich habe gar keine andere Wahl. Und selbst wenn ich weiß, dass dir das nicht gefällt und es dir überhaupt nicht passen wird, auch wenn ich noch so gute Argumente dafür habe, finde ich mich auch mit zähneknirschendem Einverständnis ab. Ja, ich begnüge mich mit allem, was ich kriegen kann. Denn es ist zwar wirklich denkbar, dass sie komplett verrückt ist, aber es ist genauso gut möglich, dass sie etwas Ernstzunehmendem auf der
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