Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
eigentlich sagen wollte, da ich nicht möchte, dass meine Worte seine Miene verfinstern.
»Ehrlich gesagt, habe ich den größten Teil des Wegs geschlafen, wenn auch nur aus dem Grund, um ihm nicht zuhören zu müssen«, sage ich und finde einen Kompromiss, der ihn zum Lachen bringt.
»Dann bist du also nicht müde? Du sehnst dich nicht nach dem Bett?« Mit leuchtenden Augen sieht er mich an.
Ich blicke zu dem nach wie vor dunklen Nachthimmel auf und dann zu der Tür, die er geöffnet hat und die in ein rustikales und doch luxuriös eingerichtetes Zimmer führt.
»Oh, ich fühle mich ganz ausgeruht«, sage ich lächelnd. »Aber ich habe ganz und gar nichts dagegen, ins Bett zu gehen.«
SIEBZEHN
N ach ein paar Stunden Kichern, Kuscheln und miteinander Flüstern – wir schmieden große Pläne für unser neues gemeinsames Leben, ein Leben, das morgen Nachmittag beginnen soll – schlafen Alrik und ich ein. Er nach wie vor voll bekleidet, natürlich ohne die Stiefel, ich ohne das Kleid, in dem ich gekommen bin, und stattdessen in den Morgenrock gehüllt, in dem ich seinen Bruder empfangen habe.
Alrik hat den Arm um meine Taille geschlungen und drückt mich fest an sich. Unsere Körper liegen so dicht beieinander, dass ich sein Herz an meinem Rücken schlagen spüre und seinen Atem an meinem Ohr höre. Ich nehme mir vor, mich von dem Gefühl einlullen zu lassen und sämtliche drängenden Sorgen, sämtliche nagenden Ängste zugunsten dieser gemeinsamen Stunden auszublenden. Ich freue mich auf morgen, wenn wir uns durch unser Ehegelübde endlich frei und offen zu unserer Liebe bekennen dürfen und wir uns nicht mehr in leeren Pferdeställen oder entlegenen Winkeln im Wald hinter dem Haus meiner Eltern treffen müssen. Wenn wir uns nicht mehr zusammenreißen müssen, sobald unsere Küsse und Umarmungen leidenschaftlicher werden.
Es ist eine Veränderung, auf die ich mich freue.
Doch mit solchen Gedanken beschäftigt sich mein Verstand lediglich im Wachzustand, während in dem Moment,
in dem ich einschlafe, jeglicher Schutz schwindet und mich eine lange Reihe von Sorgen zu bedrängen beginnt. Sie manifestieren sich in der seltsamen Sprache, die nur Träume sprechen, und stürzen mich in eine kahle, fremde Landschaft, in der Alrik nirgends zu sehen ist und mich ein finsteres Kapuzenwesen verfolgt.
Ich stürme durch dornige Büsche und Sträucher. Ich laufe um mein Leben. Die scharfen Stacheln ritzen meine Kleider und meine Haut auf und lassen mich immer wieder zusammenzucken. Mit zerfetzter Kleidung, blutigen Kratzern und voller blauer Flecken renne ich dennoch unermüdlich weiter.
Doch ganz egal, wie schnell ich auch laufe, es ist nie schnell genug.
Irgendwie kann ich nicht entkommen.
Kann dem dunklen Kapuzenwesen nicht entkommen, das mich verfolgt.
Das mich bedroht.
Mich holen will.
Mir ans Leben will …
Ich schieße ruckartig in die Höhe, und ein Grauen erregender Schrei durchdringt meinen Schlaf. Erst als Alrik neben mir hochschreckt und mich fest an sich zieht, begreife ich, dass der Schrei mein eigener war.
»Adelina! Mein Liebling, mein Herz, was ist denn? Was ist passiert? War jemand hier? Sag doch was, bitte!« Er umfasst meine Wangen und zwingt mich so, ihn anzusehen, während er mir in die schreckensweiten Augen blickt.
»Ich …« Ich blinzele hastig und mache mich von ihm los, um mich im Raum umzusehen, um mich zu orientieren und mich daran zu erinnern, wo ich bin und wer ich bin. Doch
nach wie vor verfolgen mich die entsetzlichen Traumbilder, als wäre ich nie aufgewacht.
Alrik springt aus dem Bett, greift nach der Fackel und leuchtet damit in jede Ecke des Zimmers. Als er schließlich sicher ist, dass niemand da ist, kehrt er an meine Seite zurück. »Ganz ruhig, meine süße Adelina. Es war nur ein Traum.«
Er flüstert mir eine Reihe liebevoller Worte ins Ohr – Versprechungen, Liebeserklärungen, eine Versicherung, dass der Traum nichts zu bedeuten hat, dass ich in absoluter Sicherheit bin und nichts zu befürchten habe.
Doch ich weiß es besser.
Ich weiß, dass so etwas wie nur ein Traum nicht existiert.
Meine Träume sind nicht so wie die Träume anderer.
Meine Träume haben die beängstigende Angewohnheit, in Erfüllung zu gehen.
Meine Mutter nennt meine Träume prophetisch. Von Kindesbeinen an, als ich die ersten Träume dieser Art hatte, hat sie mich davor gewarnt, sie jemals wieder zu erwähnen – es sei am besten, sie zu verdrängen, damit niemand davon erfährt. Sonst
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