Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
ebenso, wie ich ihm verschweige, dass ich allein hier unterwegs bin. Er macht sich nämlich über mich lustig. Er meint es nicht im Mindesten ernst. Und obwohl der Nebel sein Gesicht weitgehend verhüllt und ich sein dunkles, welliges Haar nur ganz verschwommen erkennen kann, brauche ich ihn nicht zu sehen, um mir das zu bestätigen. Die Verachtung in seiner Stimme ist klar und deutlich zu vernehmen.
»Wenn du mich fragst, haben wir zwei Möglichkeiten«, sagt er, als wären wir einfach nur zwei gute Freunde, die ihr Wissen teilen, um eine für beide hilfreiche und angenehme Lösung zu finden. »Wir können die Sache entweder aussitzen und darauf warten, dass sich der Nebel lichtet, oder wir können runtersteigen und von hier verschwinden. Ich wäre für Absteigen, was meinst du?«
Mir fallen tausend Erwiderungen ein, doch ich presse die Lippen zusammen, ehe mir etwas herausrutscht, das ich womöglich später bereue. Obwohl seine Nähe mir unheimlich ist, obwohl ich am liebsten seine Finger von meinem Arm wischen möchte, kann ich das nicht mehr. Nicht nach allem, was ich gelernt habe. Jetzt, da ich weiß, dass wir alle eins – alle verbunden – sind, funktionieren die alten Reflexe nicht mehr.
Das heißt aber nicht, dass ich ihm nachgeben muss. Ich bin mir nämlich sicher, dass er keine lauteren Absichten hegt. Ich versuche, mich an ihm vorbeizudrängen, um so viel Abstand zwischen uns zu legen wie nur möglich, wobei ich all jene Befürchtungen, Paranoia oder Ängste ausblende, die allein seine Gegenwart ausgelöst hat.
Zum einen will ich nicht, dass er meine Gedanken mithört, und zum anderen muss ich meinen Verstand klären, damit ich mich darauf konzentrieren kann, in welcher Richtung der Baum liegen könnte.
Doch mir fällt nichts ein.
Das Sommerland hat alles gegeben, wozu es bereit war. Was jetzt weiter passiert, liegt allein in meiner Hand.
Rafe trottet hinter mir drein und folgt mir unangenehm dicht auf dem Fuß. Doch mein Sicherheitsbedürfnis hält mich davon ab, zu schnell zu gehen, und so setze ich weiter vorsichtig einen Fuß vor den anderen und teste jeden Schritt, ehe ich mir erlaube, mein Gewicht ganz nach vorn zu verlagern. Ich hangele mich den Weg entlang wie ein Blinder, der sich in einem unbekannten Raum zurechtzufinden versucht, obwohl ich weiß, dass es auf die Art länger dauert als nötig, aber es ist besser, langsam zu gehen und sicher zu sein, als den Halt zu verlieren und es ewig zu bereuen.
Ich hoffe nur, ich gehe in die richtige Richtung.
»Ich finde immer noch, dass wir umkehren sollten«, sagt Rafe.
»Dann kehr doch um.« Ich mustere die Umgebung, suche angestrengt nach Anzeichen von … na ja, irgendwas, überhaupt etwas. »Ehrlich. Ich bin bis jetzt bestens allein zurechtgekommen.«
»Wow.« Rafe schnaubt und demonstriert mir theatralisch, wie beleidigt er ist, obwohl seine Stimme viel eher belustigt klingt als eingeschnappt. »Du weißt wirklich, wie man einem Jungen das Gefühl gibt, willkommen zu sein, was, Ever? Du solltest froh sein, dass ich hier bin. Aber wenigstens hat mich Roman schon vor dir gewarnt.«
»Ja, und was genau hat Roman gesagt?« Ich halte inne
und wende mich zu ihm um, wobei ich mich anstrenge, um besser sehen zu können, aber vergeblich. Der Nebel ist nach wie vor viel zu dicht, um irgendwas zu erkennen.
Ich konzentriere mich wieder auf den Weg und zucke unter Rafes bitterkaltem Atem in meinem Nacken immer wieder zusammen. »Roman hat mir eine ganze Menge erzählt«, sagt er auf einmal. »Schien dich ziemlich klar durchschaut zu haben. Aber darüber kann ich mich leider nicht ausführlicher äußern. Im Moment sind mir die Einzelheiten irgendwie entfallen. Das muss wohl an der Höhe liegen, oder was meinst du?«
Ich verdrehe die Augen, was sinnlos ist, da er es nicht sehen kann, aber ich fühle mich trotzdem besser dadurch, und im Moment brauche ich alle guten Gefühle, die ich kriegen kann.
»Apropos Roman …« Rafe macht eine Kunstpause, obwohl auf der Hand liegt, was jetzt kommt. »Was ist eigentlich aus ihm geworden? Hab ihn schon lange nicht mehr gesprochen. Der Gerüchteküche nach sollst du ihn umgebracht haben. Aber ich war ja noch nie ein Fan von Informationen aus zweiter Hand, sondern erkundige mich immer lieber gleich an der Quelle. Also, sag mal, Ever, stimmt das? Hast du ihn umgebracht? Denn auch wenn ich dich nicht besonders gut kenne, muss ich sagen, dass es eindeutig nach der bitteren Wahrheit klingt. Du wärst jedenfalls
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