Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
kann mich nicht einlullen.
Mir ist zu kalt.
Ich bin zu müde und erschöpft.
Aber vor allem bin ich zu einsam. Zu erfüllt von Gedanken an Damen, der mir fehlt, und daran, wie es einmal zwischen uns war.
Keine noch so große Menge an positivem Denken kann je das ganz reale, ganz wunderbar tröstliche Gefühl ersetzen, ihn an meiner Seite zu haben.
Und das ist es, was mich letztlich durchhalten lässt. Die Erinnerung an ihn lässt mich eine Weile die Augen schließen und an einen anderen, besseren Ort abdriften. Einen Ort, wo es nur ihn und mich gibt und unsere Sorgen nicht existieren.
Ich habe keine Ahnung, wie lange ich geschlafen habe – ich weiß nur, dass ich in der Sekunde, als ich die Augen aufschlage und mir mit der Hand übers Gesicht wische, sehe, dass sich die Landschaft verändert hat. Der Weg ist immer noch unglaublich schmal, und nach wie vor fällt rechts und links eine steile Schlucht hinab, doch die Jahreszeit hat sich
gewandelt. Es ist nicht mehr Winter, und das heißt, dass ich mich nicht mehr gegen einen erbarmungslosen, eisigen Schneesturm zusammenkauern muss.
Stattdessen sitze ich im prasselnden Regen, einem endlosen Frühlingsguss, der den Boden in Matsch verwandelt.
Ich komme mühsam auf die Beine und schlüpfe rasch aus den Ärmeln heraus, ehe ich mir die Jacke über den Kopf ziehe und mir die Ärmel unterm Kinn zusammenbinde, um nicht noch nasser zu werden, als ich ohnehin schon bin. Dann tappe ich vorsichtig weiter den Pfad entlang. Die aufmunternden Gedanken, Erinnerungen und dergleichen spare ich mir jetzt und konzentriere mich ganz darauf, trittsicher weiterzusteigen und nicht in den Abgrund zu fallen. Als der Regen einer glühend heißen Sonne weicht, die den Erdboden trocken und rissig macht, zucke ich nicht mit der Wimper. Und als dieselbe Sonne von einer warmen, feuchten Brise abgekühlt wird, weiß ich, dass der Sommer nun in den Herbst übergegangen ist.
Der Lauf der Jahreszeiten wiederholt sich, bis es mich nicht mehr weiter schockiert, bis es für mich zur Gewohnheit geworden ist. Ich kauere mich den Winter hindurch eingemummelt zusammen, ducke mich unter den Regengüssen des Frühlings weg, entblättere mich bis auf mein Tank-Top, wenn es Sommer wird, und ziehe mein langärmliges T-Shirt wieder an, wenn der Sommer in den Herbst übergeht. Die ganze Zeit hindurch trotte ich einfach weiter, tue mein Möglichstes, Essen und Wasservorräte zu rationieren und nicht in Panik auszubrechen und halte Letzteres beinahe durch, bis etwas passiert, das mich bis ins Mark erschüttert.
Etwas, das ich in dieser Gegend noch nie gesehen habe.
Nicht einmal in den tiefsten Tiefen des Schattenlands.
Es wird dunkel.
Okay, vielleicht nicht stockfinster, aber dennoch dunkel. Oder zumindest ziemlich düster.
Wie kurz vor Einbruch der Nacht, in der Dämmerung.
Dieser seltsame, beklemmende Moment, in dem alles zur Silhouette seiner selbst wird.
Dieser seltsame, beklemmende Moment, in dem es schwer ist, einzelne Gegenstände von ihren Schatten zu unterscheiden.
Ich rutsche aus und falle beinahe hin, wodurch ein Steinhagel in den Abgrund niedergeht. Das hätte auch ich sein können. Mein Herz hämmert wie verrückt, während ich mich sammele, meine Gliedmaßen sortiere und mich kurz vergewissere, dass ich heil bin.
»Das gefällt mir nicht«, sage ich, und meine Stimme durchbricht die Stille, bis sie von allen Seiten widerhallt. Jetzt habe ich mich offiziell unter all die anderen Verrückten eingereiht, die Selbstgespräche führen. »Bei der Finsternis und mit dem Nebel da vorn …« Stirnrunzelnd verfolge ich, wie der Weg in einer dicken Wolke aus undurchsichtigem weißem Dunst verschwindet, der aus dem Nichts zu kommen scheint. Es ist nicht zu erkennen, was dahinter liegen könnte, und erst recht gibt es keine Spur des Baums, kein Anzeichen dafür, dass ich überhaupt auf dem richtigen Weg bin. »Das sieht nicht gut aus«, füge ich hinzu. Meine Stimme klingt so düster, dass mein Unbehagen zunimmt.
Ich sehe mich um und frage mich, was ich jetzt tun soll. Der Nebel scheint immer dichter zu werden, breitet sich aus und schwebt direkt auf mich zu und pulsiert auf eine Art, die ihn regelrecht lebendig wirken lässt. Bei seinem Anblick überlege ich mir, ob ich nicht vielleicht ein Stück zurückgehen und mir eine Stelle suchen soll, wo es klar ist
und ich abwarten kann, bis sich der Nebel verzieht. Doch dann zögere ich zu lange und weiß im nächsten Moment, dass es zu spät ist.
Der
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