Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
drosseln, doch es ist zwecklos. Das Bemühen ist ebenso sinnlos wie das hektische Herumfuchteln auf der Suche nach irgendeinem Halt, denn ich stelle lediglich fest, dass Rafe Recht hatte.
Hier ist nichts, was mich retten könnte.
Nichts, was mir Halt bieten könnte.
Der Fels stürzt senkrecht ins Leere nach unten.
Je tiefer ich falle, desto dunkler wird es, bis ich überhaupt nichts mehr sehe, weder vor noch hinter mir. Ich weiß nicht, wohin ich falle.
Ich weiß lediglich, dass ich immer schneller und schneller falle und auf ein Ende zurase, das es vielleicht gar nicht gibt. Die schreckliche Wahrheit meiner Existenz, die absolute
Ironie des Ganzen ist, dass ich, wenn ich keinen Weg finde, um das hier aufzuhalten, auf diese Weise meine Ewigkeit verbringen werde.
Ich kann nicht sterben – meine Chakren sind zu stark dafür.
Aber meine eventuell erlittenen Verletzungen werden nicht heilen – dieser Teil von Sommerland lässt das nicht zu.
Zwei schreckliche Gedanken, über die ich gar nicht länger nachsinnen möchte.
Also lasse ich es.
Und konzentriere mich stattdessen auf etwas anderes.
Ich gehe die lange Liste der Dinge durch, die ich im vergangenen Jahr gelernt habe – den ganzen Weg zurück zu dem Tag, an dem ich zunächst bei dem Autounfall gestorben bin, bei dem meine ganze Familie umgekommen ist – bis zu diesem endlosen Abgrund, in dem ich mich momentan befinde. Ich muss daran denken, wie Lotos gesagt hat, dass das Wissen zu uns kommt, wenn wir es am dringendsten brauchen, und hoffe, dass mir mein gesammeltes Wissen dabei hilft, einen Ausweg zu finden.
Vergebung ist heilsam – alles ist Energie – Gedanken erschaffen – wir sind alle verbunden – was du bekämpfst, bleibt bestehen – wahre Liebe stirbt nie – die Unsterblichkeit der Seele ist die einzig wahre Unsterblichkeit.
Wieder und wieder spreche ich mir die Worte vor, bis es wie ein Mantra wird, bis die Worte beginnen, Form anzunehmen und Fuß zu fassen.
Bis mein Atem sich allmählich beruhigt, mein Körper ruhig wird und mein Herz dazu im Stande ist, sich seiner Last der Angst zu entledigen.
Vergebung ist heilsam – ich sende einen stillen Gedanken der Vergebung an Misa, Marco und Rafe, weil sie so
irregeleitet und misstrauisch waren, dass sie nicht einmal auf die Idee gekommen sind, es auf einem anderen Weg zu versuchen.
Was du bekämpfst, bleibt bestehen – ich höre auf, die Tatsache zu bekämpfen, dass ich falle, und konzentriere mich stattdessen auf eine Lösung.
Gedanken erschaffen – Selbst wenn eine sofortige Manifestierung nicht funktioniert, erschaffen unsere Gedanken dennoch in unserem Namen.
Ich löse den Rucksack von der einen Schulter, ziehe ihn nach vorn und mache den Reißverschluss auf. Dann fasse ich hinein, vergewissere mich, dass ich die leichte Jacke, die ich zuvor manifestiert habe und die mich durch eine Unmenge wiederholter Jahreszeiten begleitet und vor Hitze, Regen, Wind und Schnee beschützt hat, sicher im Griff habe, lasse den Rucksack fallen und höre zu, wie er nach unten saust. Ich packe die Jacke an beiden Ärmeln und hebe die Arme hoch über den Kopf. Damit schneide ich den Wind in meiner Flugbahn ab und werfe gleichzeitig meinen Körper in die Richtung, in der ich die Felswand vermute. Ich weiß, dass ich es geschafft habe, als mir einen Augenblick lang die Luft wegbleibt, da mein Körper gegen scharfkantige Felsspitzen geschleudert wird. Meine Haut reißt und fällt mir in Fetzen vom Leib herab, als die schartigen Kanten meine Kleider aufschlitzen und kleine Stücke aus mir herausschaben und ich weiterhin falle.
Meine Augen brennen, und der brutale Schmerz, bei lebendigem Leib teilweise gehäutet zu werden, lässt mich mit den Zähnen knirschen. Ich sage mir, dass es zwar vielleicht nicht gleich wieder heilt, aber bestimmt irgendwann. Sowie ich einen Felsvorsprung entdecke, irgendetwas Greifbares, an das ich mich klammern kann, etwas, was diesen Absturz
aufhält. Sowie ich die Frucht ergattert habe und den Rückweg in einen besseren Teil des Sommerlands antreten kann.
Mein Körper ist ein Schlitten aus Blut, Fleisch und Knochen, der immer weiter die Felswand hinabrast, und gerade als ich sicher bin, es keine weitere Sekunde mehr aushalten zu können, spüre ich etwas Festes – etwas, das unsanft meinen Fuß rammt, mich ins Knie sticht und dermaßen brutal in meinen Bauch schlägt, dass mir die Luft wegbleibt. Ich kassiere noch einen weiteren Schlag auf den Nacken und kann erst im
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