Evermore Bd. 6 - Für immer und ewig
Ganzen?
Wozu der ganze Kampf? Warum jeden Schritt meistern, nur um dann bei dem einen zu versagen, das mehr als alles andere zählt?
Dieser bittere Geschmack der Niederlage erinnert mich an das, was ich einst zu Damen gesagt habe, nachdem ich ihm die ganze schreckliche Geschichte über meinen fehlgeschlagenen Versuch mit der Zeitreise gestanden hatte.
Manchmal liegt unsere Bestimmung einfach außerhalb unserer Reichweite.
Erstaunt registriere ich, dass mir das nicht mehr zutreffend erscheint.
Meine Bestimmung ist durchaus noch in Reichweite.
Nie und nimmer ist hier Schluss.
Ich springe.
Ich überwinde den brüllenden Schmerz in meinem Körper und kämpfe mich an meinen protestierenden Muskeln und meinen blutig aufgeschürften Händen vorbei. Ich springe, so hoch ich kann, grabsche mir den Ast direkt über mir und dann den darüber. Ich schwinge mich nach oben wie ein agiler Affe, bis ich nur noch einen Ast unter Misa und Marco bin, die wiederum nur einen Ast unter Rafe sitzen.
Als Rafe zu unserem Erstaunen von seinem Ast zu ihrem hüpft, sehe ich, dass sein Gesicht nach wie vor gealtert wirkt, nach wie vor von der Zeit gezeichnet, dennoch lässt sich sein Leuchten nicht verleugnen – er strahlt regelrecht und besitzt eine schimmernde Aura –, alles Beweis genug, um mir zu sagen, dass es funktioniert hat, dass seine Unsterblichkeit rückgängig gemacht wurde. Er lässt den kleinen Rest der Frucht in Misas ausgestreckte Hände fallen und klettert eilig zum Boden hinunter, während ich mich zu Misa und Marco vorarbeite.
Ich schwinge mich auf sie zu und erschrecke vom Knacken des Asts, der unter der Last unseres gemeinsamen Gewichts bedrohlich knarrt, doch die beiden scheinen nichts zu bemerken und sich keine Sorgen zu machen. Sie sind viel zu sehr vom Anblick der Frucht abgelenkt und vom entfernten Geschrei eines jubelnden und grölenden Rafe, der mittlerweile die Wurzeln entlangklettert.
»Komm bloß nicht näher«, warnt mich Marco, der mich zuerst bemerkt hat.
Ich erstarre. Nicht weil er es mir befohlen hat, sondern weil mir soeben etwas Ungewöhnliches ins Auge gestochen ist, etwas, womit ich nie gerechnet hätte.
»Bleib, wo du bist.« Marco sieht Misa an und bedeutet ihr, sich keinen Zwang anzutun, und so schiebt sie sich vor meinen Augen die Frucht in den Mund. Ihre strahlend weißen Zähne graben sich in das feste, samtige Fleisch, und sie schließt die Augen, um den Geschmack einen Moment lang zu genießen, dann reicht sie die Frucht an Marco weiter. Er sieht mich an und sagt: »Wenn ich Lust hätte, großzügig zu sein, wenn mir auch nur das kleinste bisschen an dir läge, würde ich den letzten Bissen mit dir teilen. Schließlich scheint ja genug für uns beide da zu sein, oder nicht?«
Ich beiße mir auf die Unterlippe und hoffe, dass er viel zu sehr damit beschäftigt ist, mich zu verspotten, um auf das Wunder aufmerksam zu werden, das sich nur ein paar Äste weiter hinten zuträgt.
Ist das echt?
Kann das überhaupt sein?
Soll ich auf das vertrauen, was mein Bauchgefühl mir sagt?
Soll ich auf etwas vertrauen, das jedem Mythos und jeder Weisheit widerspricht, die ich je über diesen Baum gelernt habe?
Oder soll ich Marco attackieren, gleich hier? Mir den letzten Happen der Frucht schnappen, solange es noch geht und sie ebenso mitgenommen, verletzt und geschwächt sind wie ich?
Er hält die Frucht vor sich, spöttisch, höhnisch, und sperrt übertrieben theatralisch den Mund auf. Und ich weiß, es ist Zeit zu wählen, Zeit, mich zwischen dem zu entscheiden, was man mir gesagt hat, und dem, was ich vor mir sehe. »Aber, offen gestanden, habe ich überhaupt keine Lust, dir gegenüber großzügig zu sein«, sagt er. »Also werde ich mir jetzt schlicht und einfach den ganzen Rest einverleiben.«
Ich rutsche ein Stück weiter vor, als er sich die Frucht in den Mund schiebt.
Und noch ein Stück, sodass ich ihm schon ganz nahe bin, als er die Augen schließt und hineinbeißt.
Der Anblick verschwimmt mir vor den Augen, während Lotos’ Stimme in meinem Kopf ertönt:
Der Baum ist immertragend.
Ich erstarre. Verliere den Halt. Falle wirbelnd nach hinten, dem Boden entgegen. Ein paar Äste weiter wird mein Sturz durch dichtes Laub aufgehalten, während Marco sich über mir in Position stellt, demonstrativ schluckt und sich mit dem Ärmel den Saft vom Kinn wischt.
Als ich die beiden ansehe, fällt mir auf, dass sie sich ganz ähnlich wie Rafe verändert haben. Obwohl sie nach wie vor
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