Evermore - Das dunkle Feuer - Noël, A: Evermore - Das dunkle Feuer
Inhalt als Gehaltsscheck erweist, den ich definitiv verdient habe, aber ganz sicher nicht einlösen werde. Und außerdem noch eine kurze Nachricht, dass ich es ihn doch bitte wissen lassen soll, wenn ich nicht vorhabe zurückzukommen, damit er eine andere Hellseherin an meiner statt anstellen kann.
Das ist alles.
Kein: Was zum Teufel ist passiert?
Oder: Wieso hast du mich erst fast geküsst und mich dann quer durch deinen Garten in die Terrassenmöbel geworfen?
Aber das liegt daran, dass er es bereits weiß. Er hat es die ganze Zeit gewusst. Und auch wenn ich vielleicht nicht weiß, was genau er im Schilde führt, irgendetwas hat er ganz eindeutig vor. Vielleicht ist er mir ja im Augenblick einen Schritt voraus, aber er hat keine Ahnung, dass ich im Begriff bin aufzuholen.
Ich schmeiße den Umschlag in Richtung Papierkorb und denke mir, dass keine Antwort meinerseits Antwort genug sein sollte. Lasse den Brief in einer komplizierten Choreografie aus Schleifen und Kreisen durch die Luft segeln und eine absolut perfekte Achterfigur beschreiben, ehe ich ihn mit einem leisen, kaum hörbaren Plumps landen lasse und in meinen begehbaren Kleiderschrank trete, wo ich einen Kasten vom obersten Regalbrett hole. Den Kasten, der meine Ausrüstung enthält - alles, was ich brauche, um ungeschehen zu machen, was ich getan habe.
Es ist genau der richtige Zeitpunkt für einen Neuanfang, die perfekte Gelegenheit - laut Romy und Rayne die einzige Gelegenheit -, den Bann zu brechen, den ich unabsichtlich gewirkt habe, als ich versehentlich die dunklen Mächte beschworen habe, mir beizustehen. Der Mond nimmt jetzt zu, das bedeutet, dass die Göttin emporsteigt, sich erhebt, während Hekate, die ich, ohne es zu wissen, angerufen habe, in die Unterwelt hinabstürzt, wo sie ihre Zeit verbringen wird, bis sich in einem Monat der Kreis wieder schließt.
Ich greife in den Kasten und hole die Kerzen, die Kristalle, Kräuter, den Weihrauch und die Öle hervor, die ich brauche. Dann nehme ich mir einen Augenblick Zeit, sie in der Reihenfolge anzuordnen, in der sie angewandt werden. Schließlich streife ich meine Kleider ab und lasse mich für mein rituelles Bad in die Wanne sinken. Dabei tue ich ein Beutelchen mit Engelwurz ins Bad, zum Schutz und um
böse Zauber loszuwerden, Wachholder, um negative Entitäten zu verbannen, und Raute, um das Heilen, die mentalen Kräfte und das Brechen von Flüchen zu unterstützen. Und außerdem noch ein paar Tropfen Petitgrainöl, das verspricht, das Böse zu bannen und alle Negativität zu beseitigen. Ich lasse mich so tief ins Wasser sinken, dass meine Füße am anderen Ende der Wanne ankommen und das Wasser um mich herum emporsteigt. Dann schnappe ich mir ein paar durchsichtige Quarzkristalle vom Wannenrand und lasse sie ebenfalls hineinplumpsen, während ich einen Sprechgesang anstimme:
Ich reinige und stärke meinen Leib
Dass meine Magie rechte Blüte treibt
Mein Geist neu geboren, zum Flug aufgerafft
Gibt heute Nacht meinem Zauber Kraft
Anders als beim letzten Mal, als ich mich in der Wanne geaalt habe, beschwöre ich dieses Mal nicht Romans Bild vor mir herauf. Ich will ihn nicht sehen, bis ich bereit bin, bis es unbedingt notwendig ist. Bis es wahrhaftig an der Zeit ist, ungeschehen zu machen, was ich angerichtet habe.
Früher wäre das ein Risiko, das ich nicht eingehen darf.
Seit das mit den Träumen angefangen hat, kann ich mir selbst nicht trauen.
Als ich das erste Mal aus dem Schlaf schweißgebadet aufschreckte und Bilder von Roman noch immer in meinem Kopf tanzten, da war ich sicher, dass das nur an der schrecklichen Nacht lag, die ich hinter mir hatte - die Nacht, in der ich die Wahrheit über Jude herausgefunden und Haven unsterblich gemacht hatte, indem ich ihr den Saft einflößte. Doch die Tatsache, dass sie seitdem jede
Nacht wiedergekommen sind, die Tatsache, dass er nicht nur in meine nächtlichen Träume einbricht, sondern auch in meine Tagträume, dass diese Träume von jenem sonderbaren, fremdartigen Pulsieren begleitet sind, das ständig in mir vibriert - nun ja, das hat mich davon überzeugt, dass Romy und Rayne Recht haben.
Obwohl es mir, nachdem der Zauber vollendet war, absolut gut ging, wurde es später, als alles aus den Fugen zu geraten begann, doch ziemlich deutlich, dass der Schaden, den ich angerichtet hatte, sehr groß war.
Anstatt Roman an mich zu binden, habe ich mich an ihn gefesselt.
Statt dass er zu mir kommt, um zu tun, was ich wünsche, suche ich
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