Evermore - Das dunkle Feuer - Noël, A: Evermore - Das dunkle Feuer
Klamotten hängen nicht mehr schlaff an mir herunter, meine Haut ist makellos, meine Beziehung läuft wieder rund, und dieses grauenhafte Ungeheuer, dieser seltsame fremde Puls, der mich einst beherrscht hat, wurde seit jenem Abend am Strand nicht mehr gesehen oder gehört. Und obwohl da immer dieses riesige, klaffende Loch sein wird, das die Abwesenheit meiner Familie hinterlassen hat, obwohl ich mich in nicht allzu ferner Zukunft von Sabine werde verabschieden müssen, Damen wird immer da sein. Wenn er in diesem vergangenen Jahr sonst nichts bewiesen hat, so ist doch klar, dass er voll und ganz zu mir steht - zu uns. Ganz gleich wie schlimm alles wird, er lässt sich nicht im Geringsten beirren. Und letzten Endes ist das alles, was ich verlangen kann. Alles andere, na ja, das ist eben das, was es ist.
»Ist wohl nur ein kleiner Anfall von Geburtstagsblues.« Ich sehe sie an und füge hinzu: »Du kennst das doch bestimmt, den Schmerz des Älterwerdens?« Und lächele ein Lächeln, das mit meinen Lippen anfängt und dann bis in meine Augen hinaufkriecht - ein Lächeln, das sie ermutigt mitzulächeln.
»Du hast mein vollstes Mitgefühl.« Sie lacht. »Allerdings kriegst du noch mehr davon, wenn du an der Reihe bist, vierzig zu werden.« Damit erhebt sie sich und geht auf die Tür zu, die Hände tief in den Taschen ihres Bademantels vergraben. »Ach, das habe ich ja fast vergessen, ich habe da drüben ein paar Sachen auf deine Kommode gelegt.«
Mit einen Kopfnicken deutet sie in die ungefähre Richtung. »Das Geschenk von mir - na ja, du wirst wohl überrascht sein, wenn du es siehst. Ich war’s jedenfalls, als ich es gefunden habe, aber ich hatte auch gehofft, dass du vielleicht in deinem vollen Terminkalender ein bisschen Zeit freischaufeln könntest, damit wir mal zusammen zu Mittag essen und danach Shoppen gehen können.«
Ich nicke. »Das wäre schön«, erwidere ich, und kaum habe ich das gesagt, wird mir klar, dass es wirklich schön wäre. Es ist schon eine Weile her, dass wir richtig Weiberspaß gehabt haben.
»Ach ja, die Karte …« Sie zuckt die Achseln. »Die ist heute gekommen. Ich habe sie unter der Tür gefunden, als ich nach Hause gekommen bin. Keine Ahnung, von wem sie ist, aber sie ist eindeutig an dich adressiert.«
Ich werfe einen Blick zur Kommode hinüber und sehe ein rechteckiges Päckchen neben einem großen rosafarbenen Umschlag, der zu leuchten scheint, allerdings auf eine Unheil verkündende, bedrohliche Art und Weise.
»Jedenfalls, ich wollte dir nur alles Gute zum Geburtstag wünschen.« Wieder schielt sie nach der Uhr. »Es sind nur noch ein paar Minuten übrig, also genieß sie.«
Kaum hat sich die Tür hinter ihr geschlossen, schieße ich zur Kommode und schnappe mir das Päckchen. Der Inhalt offenbart sich mir, sobald ich es berühre.
So schnell ich kann, reiße ich das Papier ab, lasse die Fetzen zu Boden fallen und hebe den Deckel ab. Zum Vorschein kommt ein dünnes, lilafarbenes Fotoalbum aus Leder, das sämtliche Fotos enthält, die Riley bei jenem schicksalhaften Ausflug zum See gemacht hat, einschließlich des Bildes, das ich im Sommerland gesehen habe. Und als ich es durchblättere, frage ich mich unwillkürlich, ob sie
das hier irgendwie arrangiert hat …, ob sie das hier sehen kann …, ob sie mich sehen kann? Doch ich rufe nicht wieder nach ihr, das bringt jetzt nichts mehr. Ich wische mir nur die Tränen aus dem Gesicht und flüstere ein leises »Danke« . Dann lege ich das Album auf meinen Nachttisch; ich werde es irgendwo in meiner Nähe aufbewahren wollen, das weiß ich, wo ich es wieder und wieder ansehen kann. Schließlich greife ich nach dem Umschlag, auf dessen Vorderseite in übertrieben förmlichen Schnörkeln mein Name steht, und ziehe scharf den Atem ein, als er in meiner Hand aufleuchtet und schimmert. Und daran, wie mein ganzer Körper kalt wird, erkenne ich, dass er von ihm ist.
Mit dem Fingernagel hebe ich die Klappe an, entschlossen, es schnell hinter mich zu bringen. Mit einem flüchtigen Blick mustere ich die rosa glitzernde Karte, ehe ich sie aufklappe und die übliche vorgedruckte Nachricht überfliege. Dann fällt mein Blick auf die untere linke Ecke, wo Roman etwas hingeschrieben hat, in seiner geschwungenen Kursivschrift.
Es ist Zeit, Dir zu holen, was Du am meisten begehrst
An Deinem Geburtstag heut wird niemand versehrt
Sei heute vor Mitternacht in meinem Haus
Eine Sekunde zu spät, dann läuft dies Angebot aus.
Bis hoffentlich
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