Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
wieder zurückzufallen. Wankend ringe ich um mein Gleichgewicht, doch ich bin
so schockiert, so wackelig und so benommen, dass ich mich nicht gegen die Finger wehren kann, die sich in meine Schultern graben und mich an Ort und Stelle festnageln.
Havens Gesicht schwebt nur wenige Zentimeter vor meinem. »Täusch dich nicht, Ever«, herrscht sie mich an. »Ich habe nicht nur Rache für Roman geschworen, sondern Rache gegen dich.« Ihr Blick bohrt sich mit solchem Hass in meinen, dass ich nicht anders kann, als mich abzuwenden und die Augen zu schließen. Ich spüre ihren eisigen Atem auf meiner Wange und ihre Lippen an meinem Ohr, als sie sich einen Moment lang gegen mich lehnt und ihren Sieg auskostet.
Die Hähne versiegen, die Klos verstummen, die Trockner schalten sich ab, während Ströme von Flüssigseife langsam über den Boden fließen und in den Fugen versickern. Havens Stimme ist ein raues, heiseres Flüstern. »Du hast mir alles genommen, was mir je etwas bedeutet hat. Und du hast mich auch so gemacht. Wenn also irgendjemand schuld ist, dann du. Du hast mich zu dem gemacht, was ich bin. Und jetzt kommst du auf die Idee, dass dir das Ergebnis nicht gefällt und willst mich aufhalten?« Sie lehnt sich zurück, um mich besser zu sehen, wobei ihre Hand dem Amulett an meinem Hals gefährlich nahe kommt. »Tja, Pech gehabt.« Sie lacht, schnippt mit den Fingern gegen die Steine und lässt meinen ganzen Körper erstarren. »Es war deine Entscheidung, mir das Elixier einzuflößen, deine Entscheidung, mich zu verwandeln, deine Entscheidung, mich genau zu dem zu machen, was ich jetzt bin, und es gibt kein Zurück.«
Mit ihrem Blick fordert sie mich heraus, es abzustreiten. Aber ich kann ihr nicht in die Augen sehen. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, gegen meinen Schwindel
anzukämpfen und um baldige Heilung zu bitten. Ich ringe um jeden Atemzug und kann meine Worte nur zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorstoßen. »Du machst dir nicht nur was vor, sondern du bist vollkommen auf dem Holzweg.« Ich fülle meine Lungen mit Luft und umgebe mich mit weißem Licht, da ich alle Hilfe brauche, die ich kriegen kann. Das hier läuft überhaupt nicht so, wie ich es geplant habe.
Ich habe ihre zierliche Gestalt als Mangel an Kraft aufgefasst – habe die Macht des Hasses ebenso unterschätzt wie die elektrische Energie, die in ihr pulsiert und sie mit einem offenbar unerschöpflichen Vorrat an Wut versorgt.
Ich wahre eine neutrale Miene und spreche mit ruhigem Ton, da ich sie nicht auf meinen von Neuem aufgeschreckten Zustand hinweisen will. »Ich mag dich zur Unsterblichen gemacht haben – aber was du damit anfängst, liegt allein bei dir.« Die Worte erinnern mich an die Szene, die ich erst gestern manifestiert habe, abgesehen davon, dass sie nichts mit dem siegreichen Ausgang gemein hat, den ich geprobt habe.
Und plötzlich spüre ich es. Meine Wunde ist geheilt. Meine Kraft ist zurückgekehrt. Ein Blick in ihre Augen sagt mir, dass sie es auch spürt.
Und dann, im Handumdrehen, ist es auch schon vorbei.
Sie hat mich bereits zur Seite gestoßen.
Ist zur Tür gerannt.
Wirft nur noch einen Blick über die Schulter. »Hey, Ever
– bevor du mich über Vergebung belehren willst, solltest du dich vielleicht selbst ein bisschen schlaumachen. Es gibt tonnenweise Sachen, die du nicht über Damen weißt – Sachen, die er dir nie von sich aus verraten würde. Im Ernst. Kümmere dich lieber mal darum.«
Ich antworte nicht. Ich weiß, dass ich sollte, doch die Worte wollen einfach nicht kommen.
Ich fixiere sie mit meinem Blick, während sie weiterspricht. »Vergebung, Ever. Denk mal drüber nach. So leicht zu predigen – und so schwer zu praktizieren. Vielleicht solltest du dich selbst mal fragen, ob du dazu wirklich im Stande bist. Kannst du Damen die Sünden aus seiner Vergangenheit wirklich vergeben? Das ist es, was ich wissen will – und das ist auch der einzige Grund, warum ich dich jetzt am Leben lasse. Der einzige Grund, warum ich dich noch ein bisschen länger hier herumlungern lasse. Es ist zumindest ein interessantes Spektakel. Aber täusch dich nicht, sowie du anfängst, mich zu langweilen oder zu ärgern, tja, du kennst ja die Routine …«
Und im nächsten Augenblick ist sie verschwunden.
Nur ihre Worte hallen noch rings um mich herum wider.
Spöttisch.
Höhnisch.
Sie verklingen nicht, als ich mir das Blut aus den Haaren wasche und mir ein frisches Kleid manifestiere.
Ich bereite mich auf
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