Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
zurückfährt, während ich die Luft anhalte und auf das verräterische Klicken warte – doch es kommt nicht.
»Seltsam.« Ich runzele die Stirn, probiere eigenhändig den Türknauf und wundere mich, als die Tür plötzlich weit aufspringt. Entweder fühlt sich Haven mittlerweile lächerlich unverwundbar, oder wir sind hier nicht die Einzigen …
Ich sehe mich nach Miles um und bedeute ihm, still zu sein und sich hinter mir zu halten, während ich auf der Schwelle stehen bleibe und einen Moment warte, bis sich meine Augen an die matte Beleuchtung gewöhnt haben. Dann sehe ich mich im Raum um und vergewissere mich, dass die Luft rein ist, ehe ich Miles zuwinke, dass er reinkommen soll.
Doch kaum betritt er den Flur, knarrt der Boden derart laut, dass es fast einem Trompetenton gleichkommt. Wir erstarren alle beide auf der Stelle und lauschen den unverkennbaren Geräuschen von splitterndem Glas, flüsternden Stimmen, huschenden Füßen und einer Hintertür, die derart heftig ins Schloss fällt, dass die Wände wackeln.
Ich stürze los, renne in die Küche und treffe gerade rechtzeitig am Fenster ein, um Misa und Marco flüchten zu sehen. Marco kommt nicht so schnell vom Fleck, da er eine offene Reisetasche in den Armen hält, die voller Elixier ist, während Misas Tasche leer über der Schulter hängt. Sie dreht sich gerade lange genug um, um meinen Blick aufzufangen – und hält den Blickkontakt, bis sie davonprescht, hinter Marco über den Zaun steigt und sie beide in der Seitengasse verschwinden.
»Was zum Teufel war das?«, faucht Miles, als auch er endlich in der Küche erscheint. »Hast du dich gerade tatsächlich so schnell bewegt, wie es für mich aussah?«
Ich drehe mich um, betrachte die Glasscherben, die den ganzen Fußboden bedecken, und die dunkelrote Flüssigkeit, die über die Fliesen läuft und in den Fugen versickert.
»Also, was ist los? Was hab ich verpasst?«, fragt er und sieht zwischen der Sauerei und mir hin und her.
Doch ich zucke nur die Achseln. Ich habe keine Ahnung, was hier los ist. Keine Ahnung, warum Misa und Marco das Elixier gestohlen haben. Warum sie derart in Panik geraten sind, dass sie eine Flasche zerbrochen haben. Ganz zu schweigen von Misas verängstigtem Blick, als sie mich gesehen hat.
Nur eines ist klar – man hat sie nicht gerade aufgefordert, den Vorrat an Elixier an sich zu nehmen.
Trotzdem hat nichts davon etwas mit uns zu tun, mit dem Grund unseres Hierseins. Also mache ich rasch die Sauerei weg, einfach indem ich mir wünsche, dass sie verschwindet, und sehe Miles an. »Also, was wir suchen, ist ein Hemd. Ein weißes Leinenhemd. Mit einem großen, grünen Fleck vorne drauf.«
DREIUNDZWANZIG
D ie Wochen verstreichen, doch es verändert sich kaum etwas. Jude geht mir weiterhin aus dem Weg, bis ich zu einer Entscheidung komme. Damen wacht in der Schule weiter über Stacia, Miles wacht über meine Gefühle in Bezug darauf, dass Damen in der Schule über Stacia wacht, während ich weiterhin im Alarmzustand bin und auf den Moment warte, in dem Haven auf mich losgeht.
Doch das ist nur die Oberfläche.
Bei genauerem Hinsehen tun sich mehr als nur ein paar Risse auf.
Zum einen lässt sich die Tatsache nicht verbergen, dass Honor ebenso unglücklich darüber ist, Havens Nummer zwei zu sein, wie sie es als Stacias Nummer zwei war – vielleicht sogar noch mehr.
Zum zweiten – auch wenn ich mir da nicht sicher bin, da wir ja nicht miteinander reden oder so, doch ich schließe es daraus, mit welcher Entschlossenheit und Sehnsucht sie Tisch A beäugt – liegt mehr oder weniger auf der Hand, dass Stacia es allmählich satthat, von einem Jungen bewacht zu werden, der gegenüber ihren Reizen immun ist und sie eindeutig nur beschützen will.
Und was Haven angeht, nachdem sie mit praktisch jedem Jungen, der sie früher hat abblitzen lassen, etwas angefangen und ihn dann sitzen lassen hat, so beginnt das Spielchen sie allmählich zu langweilen. Außerdem ärgert sie sich immer
mehr darüber, dass alle die verschiedenen Looks kopieren, die zu kreieren sie so viel Mühe kostet, was sie dazu zwingt, immer neue, noch bombastischere Stylings zu entwickeln, die aber letztlich auch imitiert werden.
Ich glaube, das Alpha-Weibchen zu sein, ist doch nicht ganz das, was sie sich davon versprochen hat. Die Realität wird langsam schal wie ein Job, der ihr keinen großen Spaß macht und für den sie eigentlich von vornherein nicht richtig qualifiziert war.
Das sehe ich daran,
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