Evermore - Der Stern der Nacht - Noël, A: Evermore - Der Stern der Nacht
dich und sie ist hübsch«, ergänze ich, ernte als Antwort aber nichts weiter als ein Schnauben.
»Sie mag dich und sie ist hübsch und sie hat eine gute Energie«, lasse ich nicht locker und nötige ihn, mich anzusehen, während ich näher trete. »Wobei sich allerdings die Frage stellt, was dir fehlt.«
Er hält inne. Hört auf, sich geschäftig zu geben und so zu tun, als würde ich nicht direkt vor ihm stehen, und sieht mich endlich an. » Du .« Er erklärt es so offen, so einfach, dass ich nicht weiß, was ich tun soll. » Du bist es, was mir fehlt.«
Ich sehe auf meine Füße herab, da ich ihn nicht anschauen kann und mir dumm vorkomme, weil ich hier einfach so aufgetaucht bin. Ich wage kaum zu atmen, als er weiterspricht. »Ist das nicht das, was du hören wolltest?«
Ich nicke leicht, denn er hat Recht. Genau das wollte ich hören. Genau deswegen bin ich hergekommen.
Er setzt sich auf den Hocker, lässt die Schultern sinken und vergräbt das Gesicht in den Händen. »Ever, was soll das? Mal im Ernst. Was willst du hier – was willst du von mir?«
Ich weiß, dass ich ihm eine Antwort schuldig bin, ihm die Wahrheit schuldig bin – in beiden Erscheinungsformen. Das will ich auch erfüllen, und so sage ich: »Na ja, zuerst einmal wollte ich mich vergewissern, dass es dir gut geht. Ich habe dich eine Zeit lang nicht gesehen, und …«
»Und?« , faucht er.
»Und … ich wollte dich einfach sehen. Musste dich sehen, könnte man vielleicht sagen.«
»Vielleicht?«
Er lässt den Blick über mich wandern, sodass ich mir schutzlos und nackt vorkomme und das merkwürdige Gefühl habe, Damen zu verraten. Trotzdem brauche ich etwas von Jude, da ich keine Alternative mehr habe. Ich meine, ich kann das Hemd nicht finden, die Große Halle verweigert mir ihren Beistand, der Wunsch, den ich an meinen Nachtstern gerichtet habe, muss erst noch in Erfüllung gehen, und bis jetzt gab es keinerlei Hinweise oder Vorzeichen. Das alles hat mich hierhergeführt, da mir nur noch ein Weg eingefallen ist, wie ich der ganzen Sache auf die Spur kommen kann.
Ein Weg, der lediglich versucht, aber nie ganz durchgeführt worden ist.
Ein Weg, der mich vielleicht zum Richtigen führen könnte.
»Jude«, setze ich an, und meine Stimme klingt heiser. »Jude, ich …«
Ich trete noch näher und denke: Das ist lächerlich – die ganze Sache ist total lächerlich.
Ich meine, er liebt mich, und ich weiß, dass ich ihn auch einmal geliebt habe, oder selbst wenn es nicht gerade Liebe war, so bin ich doch sicher, dass ich etwas für ihn empfunden habe. Und vielleicht bräuchte es nur einen Kuss, um mir das zu offenbaren. So wie damals, als ich Damen zum ersten Mal geküsst habe, und wir uns so verbunden, so verschmolzen gefühlt haben, ehe all die Schrecklichkeiten über uns hereingebrochen sind.
Ich gehe um den Ladentisch herum und fasse schnell nach seiner Hand. Im nächsten Moment presse ich meine Finger gegen seine, und ein beruhigender Strom seiner kühlen, ruhigen Energie fließt durch meine Glieder. Mein
Geist wird ruhiger, mein Körper weicher und nachgiebiger, während sein Gesicht näher kommt. Er sieht mich mit prüfendem, brennendem Blick an, und ich schlinge die Finger um seinen schlanken, muskulösen Arm.
Mein ganzes Ich ist überflutet von Vorfreude, als ich ihn an mich ziehe und darauf warte, dass sich seine Lippen auf meine drücken. Ich muss es endlich ein für alle Mal erleben, muss wissen, was wir eigentlich die ganzen Jahrhunderte hindurch verpasst haben.
Zuerst bin ich schockiert davon, wie es sich anfühlt, die unerwartete Kühle, die kissenartige Festigkeit seines Kusses – so ganz anders als Damens perfekte Mischung aus Kribbeln und Hitze. Höre das leise Stöhnen, das aus seiner Kehle dringt, als er meinen Hinterkopf umfasst und mich an sich drückt. Seine Lippen teilen sich leicht, seine Zunge sucht meine, als plötzlich die Tür weit aufschwingt, krachend gegen die Wand knallt und die Glocke erst klingeln und dann scheppernd zu Boden fallen lässt.
Wir drehen uns um.
Lösen uns überrascht voneinander.
Und da steht Haven, dunkel, bedrohlich und wie ein Schatten im Gegenlicht in der Tür und funkelt uns böse an.
Mit geschürzten Lippen und schmalen Augen, die Hände in die Hüften gestemmt, sagt sie: »Wow. Was für ein Anblick. Heute muss mein Glückstag sein. Zwei Fliegen mit einer Klappe, und keiner von euch hat auch nur die geringste Chance.«
VIERUNDZWANZIG
I ch sehe Jude flehend an, damit er
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